Eine Masters-Klasse

Eine neue Saison beginnt und es scheint, dass heuer wirklich alles neu ist. Noch nie wurde so viel im Vorfeld über den alpinen Skizirkus berichtet. Der Grund dafür liegt für mich bei der aktuellen Inflation von Comebacks zurückgetretener Athleten. Begonnen hatte es mit Lukas Braathen, der nur Monate vor seiner Comeback-Ankündigung, unter viel Tränen, seinen Rücktritt inszenierte. Jetzt fährt er für Brasilien, was für die internationale Aufmerksamkeit sehr positiv ist.
Es folgte das alles in den Schatten stellende Statement von Marcel Hirscher. Er startet jetzt für die Niederlande. Und zuallerletzt dürfen wir uns über die Rückkehrgedanken der Speed-Queen Lindsey Vonn erfreuen, die schon in den letzten Jahren ständig Postings von ihren Trainingsaktivitäten mit verschiedensten Hollywood-Größen veröffentlichte. Für welches Land sie starten wird, weiß man bisher nicht.
Das alles entscheidende Detail für alle Comebacks scheint die von der FIS gewährte Wildcard zu sein. Das ist ein quasi ein „Freifahrschein“, um ohne FIS-Punkte hinter der zweiten Gruppe starten zu dürfen. Was viele nicht wissen, das gab es schon zu meiner Zeit und hieß „Nationenpaket“. Ich habe das in meinen frühen Jahren als Rennläufer für Luxemburg in FIS- und Europacup-Rennen selbst in Anspruch genommen.
Heute finde ich das lächerlich. Die Pisten sind soviel besser als früher, dass man so eine Bevorzugung gar nicht nötig hat. Wenn sich jemand zu den besten der Welt zählt, kann er oder sie noch mit der letzten Nummer in die Top 30 fahren und dann mit vorderer Nummer im zweiten Durchgang nach vorne preschen. Wenn Hirscher, Braathen und Vonn wirklich auf diesen minimalen Nummernvorteil hoffen, dann wäre ein Comeback definitiv verfrüht.
Ich frage mich nur, was die anderen Top-Athleten darüber denken. Etwa ein Manuel Feller oder der aufstrebende Raphael Haaser. Über diese beiden hat bislang kaum ein Medium berichtet. Auch über unsere Damen liest man wenig bis gar nichts, obwohl sie sich seit dem letzten Winter auf einem schönen Aufwärtstrend befinden. Das kann auch daran liegen, weil es heuer endlich mal wieder top-Verhältnisse auf allen Gletschern hat. Zu Hause trainieren ist halt doch ein Vorteil und diesen Schwung bringen unsere Cracks hoffentlich auch mit ins Rennen.
Sogar die Schweizer tummeln sich bei uns herum und lassen das unglückliche Zermatt, dem die FIS seine Abfahrten weggenommen hatte, links liegen. Und genau die gilt es heuer zu schlagen, neben den üblichen Verdächtigen bei den Damen, Shiffrin oder die noch verletzte Vlhová.
Jedenfalls ist die Spannung vor dem ersten Weltcup-Wochenende so groß wie nie. Und falls sich Marcel Hirscher doch nicht so wohlfühlt mit der Wildcard, könnte die FIS für solche Fälle ja eine Masters-Klasse-Kategorie einführen.
Marc Girardelli zählt mit fünf Gesamt-Weltcupsiegen zu den erfolgreichsten alpinen Rennläufern im Skizirkus.