Toni Innauer über Theorie und Praxis sowie bitteres Erwachen

Enttäuschte Erwartungen, betretene Gesichter und massive Kritik nach den ersten Versuchen auf neu geschaffenen oder kostspielig sanierten Sportbauwerken gehören wie Rekorde und hochspannende Wettkämpfe zu manchen Sportarten.
Heutige Weltklassespringer klagen über allzu ähnliche und langweilige Neubauten. Im Übergangsbogen vom Anlauf zum Schanzentisch wurden früher unterschiedliche Radiuskurven verbaut. In der digitalen Moderne werden ausschließlich die viel komplizierteren Klothoiden wie im Straßenkurvenverlauf gewählt. Weil es am Computer scheinbar leicht und elegant geworden ist, was früher als riesiger Planungs- und Testaufwand gemieden wurde.
Im Anlauf steigt der Druck für AthletInnen sanft beginnend und immer stärker an. In der Theorie klingt das geschmeidig, liegt nicht allen und mag nicht jeder, ist aber allen neuen Schanzen gemeinsam.
Vor den Spielen 76 wurde von uns die neu erbaute Bergiselschanze eingesprungen. Eine sündteure mobile Anlaufluke, motorisch höhenverstellbar, war “DIE” vermeintliche Sensation. Nach dem Eröffnungstag wurde sie eingemottet. Der Anlauf war viel zu lang, die Rechnung war ohne die Weitengewinne durch die Gummianzüge der Österreicher gemacht worden.
Das Anzug-Dilemma begleitet den Sport seit dieser Zeit: Weite Anzüge fliegen besser, verstärken aber jeden Windhauch nahezu unberechenbar. Hautenge Anzüge wären unempfindlicher gegenüber wechselnden Windbedingungen und leichter zu kontrollieren. Sie bringen aber höhere Fluggeschwindigkeiten, größeren Landedruck und steigende Verletzungsgefahr mit sich. Das treibt auch die Schanzenplaner vor sich her.
Ähnlich ergeht es Golfplatzarchitekten, die die von Technologie und Athletik provozierten Leistungssprünge mitkalkulieren müssen. Im Golf werden Ex-Profis oft zu Platzarchitekten und bringen ihre Expertise gemeinsam mit Baufachleuten ein. Im Skispringen eigentlich kaum. Komplexität, Risiko und Verantwortung dürften neben den weit auseinanderklaffenden Verdienstmöglichkeiten die Hauptgründe dafür sein.
Kritik und Analysen aus der Trainer- und Sportlerecke – wie zuletzt bei der Sturz- und Verletzungsorgie auf den neuen Olympiaschanzen in Predazzo – kommen zu Recht, aber zu spät, wenn alles schon in Beton gegossen ist. Interesse, enge Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme von Praktikern in der Vorplanungsphase gibt es nur in Ausnahmefällen. Auch der Sport “sourced” heikle Themen gerne “out”…
Der Verständigungs- und Einarbeitungsprozess zwischen Planungsbüro und Sportpraxis ist beiderseitig anstrengend und heikel, längerfristig wäre er bereichernd. Noch ist es für die Praktiker bequemer, die Finger davon zu lassen und empört zu sein, wenn etwas danebengegangen ist.
Es werden zwar viel weniger Schanzen und Rodelbahnen gebaut als Golfplätze, aber alle mit öffentlichen Mitteln. Vielleicht sollten die gemachten Erfahrungen dazu führen, – wie früher – Erkundungsphasen mit adaptierbaren Provisorien durchzuführen, bevor betoniert wird?