Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Causa finita?

30.03.2021 • 10:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Roma locuta – causa finita (wenn der Vatikan gesprochen hat, ist die Sache ohne weitere Diskussion erledigt). Das waren Zeiten für die katholische Kirchenhierarchie, als dieser Satz noch geglaubt wurde! Die Leute waren gewohnt, darauf nur noch Amen sagen zu können. Heute ist es gerade umgekehrt. Heute wird mit Veröffentlichungen der vatikanischen Glaubenskongregation eine Diskussion nicht beendet, sondern geradezu angefeuert – oder noch ärger, sie finden vielfach keine Beachtung mehr.

„Das hat weder mit der Lebenswirklichkeit noch mit Barmherzigkeit zu tun.“

Im letzten Sommer machte sich die Glaubenskongregation die Mühe einer Verlautbarung, wonach die Verwendung der Formel „Wir taufen dich“ zur Ungültigkeit der Taufe führe. Gültig sei sie nur, wenn der Priester „Ich taufe dich“ sagt. Das ist vielen Leuten herzlich gleichgültig. Ausgehend von beabsichtigten Strukturreformen in deutschen Bistümern wurde es letztes Jahr mit einer vatikanischen Instruktion verboten, Laien mit der Leitung von Pfarrgemeinden zu betrauen. Es ist offenkundig, dass die Realität des Priestermangels in der Praxis darüber hinweggeht und der Vatikan dem ziemlich machtlos gegenübersteht. Jüngstes Beispiel ist die Bekräftigung des Verbotes, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gläubiger Menschen priesterlichen Segen zuteil werden zu lassen. Wenn man wie die Glaubenskongregation darin verharrt, Homosexualität nach wie vor als Sünde zu sehen, mag das zwar eine formal konsequente Haltung sein. Sie hat aber weder mit der Lebenswirklichkeit (laut Papst Franziskus selbst im Vatikan) noch mit christlicher Barmherzigkeit zu tun. Daher ist es kein Wunder, dass sich viele Priester nicht an das Segnungsverbot halten wollen und Bischöfe kein Ende, sondern eine Fortsetzung der Diskussion fordern. Dies gilt umso mehr, als sich Papst Franziskus erst im letzten Herbst für eine staatliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen hatte, um sie rechtlich zu schützen.

„Lieber klein, aber fein“ ist das offenkundige Motto verschiedener kirchlicher Gruppierungen. Mit solchen Aktionen aus Rom kommen sie diesem Ziel immer näher. War die katholische Kirche früher Staatskirche und ist sie – rein mengenmäßig gesehen – immer noch eine Art Volkskirche, sieht das heute in Wirklichkeit aber anders aus. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung gehört ihr in Österreich zwar als Mitglieder an und auch eine halbe Million Menschen als Gottesdienstbesucher an einem gewöhnlichen Sonntag machen einen imposanten Eindruck. Allerdings sind das nur zehn Prozent der Gläubigen und nur mehr sechs Prozent der Bevölkerung. Die Corona-Pandemie hat aber auch gezeigt, wie viele Menschen an der kirchlichen Basis die Dinge – Rom hin oder her – selbst in die Hand nehmen und auch unter schwierigen Verhältnissen für lebendiges Glaubensleben in einer neuen Art Volkskirche sorgen.

Jürgen Weiss

juergen.weiss@vn.at

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.

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