Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Kommentar: Qual der Wahl?

Vorarlberg / HEUTE • 08:00 Uhr

Dass mit Josef Grünwidl ein früheres Mitglied der als „Ungehorsame“ bekannt gewordenen Reforminitiative von Pfarrern zum Erzbischof von Wien ernannt wurde, wäre bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Noch 1986 wurde, um den logischen Nachfolger von Kardinal König, Weihbischof Helmut Krätzl, verhindern zu können, dem weitgehend unbekannten Hans Hermann Groer der Verzug gegeben – was nach Missbrauchsvorwürfen ein unrühmliches Ende genommen hatte. Mit Papst Franziskus setzte dann ein Umdenken ein, das nun offenkundig von seinem Nachfolger übernommen wird. Dass sich der neue Wiener Erzbischof verheiratete Priester und eine stärkere Mitwirkung von Frauen, letztlich sogar im Kardinalskollegium, vorstellen kann, war in Rom sicherlich nicht unbekannt.

„Das war in Rom sicherlich nicht unbekannt.“

Dieses neue Denken hat sich allerdings noch nicht bis zum Vorgang der Bischofsernennung durchgesetzt. Dass für Kardinal Schönborn ein Nachfolger zu bestellen sein wird, war mit einem Blick auf sein Geburtsjahr und die Altersgrenze für Bischöfe schon lange bekannt. Nachdem die Bischofskonferenz alle drei Jahre Rom eine Liste mit für das Bischofsamt geeigneten Personen vorlegen muss, würde man vermuten, dass der Papst über einen guten Fundus in Frage kommender Namen verfügt. Offenkundig ist das aber ein sehr lustlos gehandhabtes Ritual.

Dass es auch anders gehen kann, war heuer in unserer Nachbardiözese St. Gallen zu sehen. Dort erstellen die zwölf engsten Mitarbeiter des Bischofs, das Domkapitel, nach Befragung der Gläubigen eine Liste von sechs wählbaren Kandidaten, zu denen Rom Stellung nehmen kann. Mehr aber auch nicht, die Wahl des Bischofs erfolgt an Ort und Stelle durch das Domkapitel. Man kann nun keineswegs sagen, dass dieser „basisdemokratische“ Bestellungsvorgang jemals nachteilige Auswirkungen auf die Qualität der Entscheidungen gehabt hätte.

Anders ist die Lage in unserem benachbarten Erzbistum Vaduz, das bis 1997 ein bloßes Dekanat des Bistums Chur war und lediglich deshalb geschaffen wurde, um in Chur den umstrittenen Bischof Haas wegloben zu können. Seit seinem altersbedingten und blitzartig angenommenen Rücktritt im September 2023 ist der Bischofssitz vakant und wird übergangsweise von unserem Diözesanbischof Benno Elbs mitbetreut. Die pastoralen und organisatorischen Herausforderungen für den Mini-Erzbischof von 28.000 Gläubigen und zehn Pfarreien mit einem der Kirche zugewandten Fürstenhaus im Hintergrund dürften eigentlich überschaubar sein. Um undurchsichtiger ist daher, warum sich die Entscheidung nun schon mehr als zwei Jahre hinzieht.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.