Leserbrief: Der Niedergang der Bregenzer Festspiele

Die Aufführungen verkommen immer mehr zu einem Spektakel, und so verliert eine Oper nach der anderen an künstlerischem Wert. – Das, was heuer beim “Freischütz” geboten wird, ist nicht mehr auszuhalten, nicht mehr akzeptabel: ein postapokalyptisches Spektakel, das sich für Avantgarde hält, aber in Wahrheit ein seelenloses Zerrbild der Opernkultur ist. Ein missglückter Versuch, große Oper in bombastisches Event-Theater zu verwandeln. Was Regisseur Philipp Stölzl hier veranstaltet, ist keine Neuinterpretation, sondern eine Demontage. Statt psychologischer Tiefe bietet die Produktion grelle Effekte, Splitterszenen und den Charme eines drittklassigen Netflix-Fantasyfilms. Das Publikum wird nicht eingeladen, zu fühlen oder zu verstehen – sondern einfach überrollt. Wer diese Inszenierung für “mutig” hält, verwechselt Provokation mit Beliebigkeit. Die Bregenzer Seebühne ist visuell zwar aufwendig, aber geistlos: Skelette, Rauch, feuerspeiende Drachen, Geistermädchen im Wasser. Eine Effekthascherei, die ihre eigene Lächerlichkeit nicht mehr bemerkt. Das Bühnenbild erschlägt die Musik. Die szenische Überfrachtung hat den Charakter einer Disneyland-Geisterbahn für Erwachsene mit Opernlibretto als Feigenblatt. Mein Gesamturteil: ein überinszeniertes, musikalisch entkerntes Spektakel für Fans von Pyrotechnik und Zombies – aber eine Schande für die Opernkunst. Wer braucht Handlung, Musik oder Tiefe, wenn man Drachen, Galgen und Skelette hat? Der Freischütz in Bregenz ist großes Wasserballett mit Soundtrack – aber leider keine Oper mehr.
Dr. Norbert Obermayr, Mauren (FL)