747 Qadratmeter täglich: Gemeinden widmen weiter kräftig Bauflächen

Warum für den Eigenbedarf dennoch kaum Baugrund vorhanden ist und wo Experte Gerald Mathis “Missbrauch von Grund und Boden” ortet.
Schwarzach In Vorarlbergs Rathäusern und Gemeindeämtern wird ein Antrag auf Flächenumwidmung nach dem anderen abgearbeitet. Laut jüngsten Daten kamen so in Vorarlberg zwischen Anfang 2020 und 2021 rund 272.000 Quadratmeter Bauland neu auf den Markt, was täglich 747 Quadratmetern entspricht. Die Dynamik der Bauflächenwidmung ist damit ungebrochen hoch. Dabei sind die Ressourcen längst ausgeschöpft, wie Gerald Mathis vom Institut für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung (ISK) in Dornbirn sagt. Flächen seien eine begrenzte Ressource, deshalb müsse anders damit umgegangen werden. “So kann es nicht weitergehen.”

Bauland gibt es in Vorarlberg im Überfluss. In den 60er- und 70er-Jahren haben die Gemeinden im großen Stil auf Vorrat gewidmet. Noch heute ist rund ein Drittel oder 3181 Hektar bewilligtes Bauland ungenutzt. Eine Mobilisierung der Flächen ist kaum möglich. “Keiner gibt her, wenn er nicht muss”, sagt Mathis. Die Nachfrage nach frischem Boden bleibt enorm, das wiederum treibt die Preise in die Höhe – ein Kreislauf. Der Experte beschreibt einen Markt, der aus den Fugen geraten ist. “Im Augenblick ist es so, dass wir nicht bauen, um zu wohnen. Wir bauen, um zu veranlagen”, skizziert er das Dilemma. Mathis nennt es “Missbrauch von Grund und Boden”.

Bei Widmungen haben Gemeinden freie Hand, sind autonom. Ab 2022 verbindliche Räumliche Entwicklungspläne (REP) geben allerdings den Rahmen vor. Ein Blick in die jüngsten Daten zur Entwicklung der Bauflächen in allen 96 Gemeinden zeigt deutliche Unterschiede. Bei einzelnen kleineren Gemeinden sind seit 1999 keine weiteren Bauflächen dazugekommen, bei anderen sind die Flächen in dieser Zeitspanne massiv angestiegen, wie etwa in Blons (67 Prozent), Fontanella (61 Prozent) Brand (60 Prozent) oder Schröcken (60 Prozent). Vorarlbergweit gab es vor 22 Jahren gesamt 10.530 Hektar Bauflächen, mittlerweile sind es 11.453 Hektar (plus 924 ha bzw. + 9 Prozent).
Top-5-Gemeinden nach Bauflächenzuwachs (Prozent)
Zuwachs in Prozent zwischen 1999 und 2021
Blons: 67 Prozent
Fontanella: 61 Prozent
Brand: 60 Prozent
Schröcken: 60 Prozent
Bürserberg: 54 Prozent
Top-5-Gemeinden nach Bauflächenzuwachs (absolut)
Zuwachs in Hektar zwischen 1999 und 2021
Dornbirn: 110 ha
Nenzing: 50 ha
Lustenau: 33 ha
Hard: 30 ha
Lauterach: 25 ha
Die großzügigsten Voraussetzungen findet Vorarlbergs größte Stadt Dornbirn vor. Frühzeitig auf Vorrat bedacht, kamen seit 1999 auch innerhalb der vorgegebenen Siedlungsränder 118 Hektar Bauflächen dazu. In den letzten beiden Jahren ist die Dynamik allerdings zurückgegangen, zwischen 2019 und 2021 zeigen die den VN vorliegenden Daten lediglich einen Zuwachs von zwei Hektar Bauland. Bregenz wiederum ist aufgrund seiner geografischen Lage beim Wachstum stark beschränkt. In den letzten acht Jahren haben sich die Bauflächen in der Landeshauptstadt um nur vier Hektar vergrößert.
Top-5 -Gemeinden Bauflächenzuwächse zwischen 2019 und 2021
Zuwachs in ha Fläche zwischen 2019 und 2021
Nenzing: 10 ha
Hohenems: 9 ha
Fußach: 4 ha
Koblach: 4 ha
Hard: 3 ha
Bauflächenzuwach der Vorarlberger Städte
Zuwachs in Hektar Fläche und Prozent zwischen 1999 und 2021
Dornbirn: 118 ha bzw. 11 Prozent
Hohenems: 20 ha bzw. 4 Prozent
Bregenz: 19 ha bzw. 6 Prozent
Feldkirch: 13 ha bzw. 1 Prozent
Bludenz: 3 ha bzw. 1 Prozent

Andere wiederum können aus dem Vollen schöpfen. Um 50 Hektar seit 1999, davon alleine zehn Hektar in den letzten beiden Jahren, haben die Bauflächen in Nenzing zugenommen. Bürgermeister Florian Kasseroler erklärt den Bedarf mit Betriebserweiterungen großer internationaler Unternehmen, die damit ein Standortbekenntnis abgegeben hätten. Die Bauflächenwidmungen seien wesentlich für die wirtschaftliche Entwicklung gewesen. Was den Wohnraum betrifft, bewege man sich konsequent innerhalb des Siedlungsgebietes.

Die wirtschaftliche Entwicklung hat auch in Hohenems zu umfangreichen Bauflächenwidmungen geführt. Von den gesamt 20 Hektar seit 1999 fallen 15 Hektar auf die letzten sechs Jahre. Es habe strukturellen Nachholbedarf gegeben, so Bürgermeister Dieter Egger. Weil entsprechende private Bauflächen für Industriegebiete nicht mobilisierbar waren, habe man das Heft selbst in die Hand genommen. Auf den neu gewidmeten Flächen soll etwa das Betriebsgebiet A14 realisiert werden. “Grundsätzlich wäre der Bedarf aber noch weit größer”, so Egger.

Über ganze 13 Hektar mehr Bauflächen als noch 1999 gibt es im 750-Seelen-Ort Brand. Die Steigerung um 60 Prozent in dieser Zeitspanne erklärt Bürgermeister Klaus Bitschi mit der dynamischen Entwicklung, vor allem in den Jahren 2007 bis 2011. Damals seien Appartement-Komplexe umgesetzt und Hotelerweiterungen realisiert worden. “Es gab aber auch eine verstärkte Nachfrage nach Wohnraum”, so Bitschi weiter. Die Zahl der Einwohner sei von 650 auf 750 angestiegen. Das habe sich auf ein erhöhte Bauvolumen an Einfamilienhäusern und auch einem gemeinnützigen Wohnbauprojekt niedergeschlagen.
Restriktive Widmungspolitik gefordert
Die Gemeinden sind in der Pflicht. Der weiterhin großzügige Umgang mit neuen Baulandwidmung gehe nicht mehr lange gut. “Das Spiel ist schon vorbei”, sagt Gerald Mathis, der mit seinem Institut gut ein Dutzend Kommunen im Land berät. Es gebe einen entsprechenden Sensibilisierungsbedarf was eine restriktive Widmungspolitik betreffe. Die öffentliche Hand müsse sich gezielt um Flächen für leistbaren Wohnraum und Betriebsentwicklungen bemühen. Ziel müsse es sein, das Eigentum zu fördern.

Denn Vorarlberger sind in ihrem Selbstverständnis Haus- und Wohnungseigentümer. Damit könnte es aber bald vorbei sein. “Für den Eigenbedarf ist aufgrund der Marktentwicklung kein Grund und Boden mehr da”. Die Veranlagungsinvestitionen im Wohnbau überschwemmen den Markt mit Mietwohnungen. Das einstige Land der Häuslebauer hat heute mit 42 Prozent privater Mieter den höchsten Wert aller Bundesländer. Dabei sollte Eigentum breit gestreut sein, spricht Mathis ein soziales Auseinanderdriften an. “Wenn Vorarlberger sich Vorarlberg nicht mehr leisten können”, beschreibt er ein Bild des Marktversagens.