Revolutionäre Tanzperformance

Ein Tanztheaterprojekt zur Textilgeschichte in Vorarlberg.
Feldkirch Nach zwei Jahren intensiver Recherche, zahlreichen Interviews, Archivbesuchen und Reisen zu den Ursprüngen der industriellen Revolution in Europa präsentierte Theatermacherin Brigitte Walk am Samstag im Alten Hallenbad in Feldkirch ihr neuestes Projekt.
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Das Tanztheater “Stickstoff” beleuchtet die Geschichte der Vorarlberger Textilindustrie und geht in dicht aufeinanderfolgenden Szenen dem Aufstieg und Niedergang, der Technisierung und dem Fortschritt auf den Grund. Eine Ausstellung von Schülerinnen der HTL Modedesign im Alten Hallenbad, Plakate von Praktikantinnen der Kommunikationsagentur „Sägenvier“ und eine Installation vermitteln den Besuchern gleich zu Beginn eine Ahnung dessen, was wohl die Grundlage unseres Wohlstandes war, jedoch nie erzählt wurde: Sklavenhandel, billige Baumwolle, Kolonialisierung. Nach einem zwanzigminütigen Rundgang nehmen die Zuschauer an leicht erhöhten Stühlen Platz und verfolgen wie in einem Kinosaal das Geschehen. Auf der Leinwand werden in Videos von Sarah Mistura die Gesichter der Schauspieler mit historischen Persönlichkeiten vermischt.

Weiße Bodenmarkierungen schaffen abgegrenzte Räume. Dort sitzen Frauen (Paula Czizegg, Gisela Kuzel, Elena Voznyuk) an alten Nähmaschinen, während Maria Fliri und Helga Pedross im Rhythmus von “Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast” aus leeren Tellern essen. Peter Bocek, der Dritte im Ensemble, hinterfragt lautstark die Vergangenheit. Gemeinsam mit dem aus Ägypten stammenden Tänzer Aly Khamees lassen die perfekt agierenden Schauspieler nichts aus, stoßen auf den kolonialen Ursprung der Textilindustrie, Handelsbeziehungen nach Westafrika, die Geschichte der Arbeitsmigration, auf Gier, Stolz und Scham, auf das große Geschäft und den gequälten Körper sowie auf postkoloniale Verstrickungen, die uns alle betreffen. Es entsteht eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Suche nach einer alternativen Zukunft in einer Gegenwart, in der die kapitalistische Produktionsweise auf der Kippe steht.
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Es sind eindrucksvolle Szenen, fesselnde, berührende Eindrücke. Der Text von Amos Postner spannt einen weiten Bogen über nahezu 200 Jahre, in denen die Textilindustrie den Wirtschaftssektor Vorarlbergs dominierte. Dies reicht von der Gründung der Firma Ganahl, den ersten mechanischen Webstühlen der Monarchie und ihrer Verbindung zu Baumwollplantagenbesitzern und Sklavenhändlern bis hin zum Stickerei-Boom in Lustenau in den 1970er-Jahren und der Rolle der sogenannten “Gastarbeiter”. Insgesamt ist „Stickstoff“ eine gelungene Aufführung, die es schafft, die komplexe Geschichte der Textilindustrie auf eine vielfältige und fesselnde Weise zu zeigen. Es ist ein Stück, das zum Nachdenken anregt und den Zuschauern neue Perspektiven eröffnet.
Sigrid Juen
Weitere Vorstellungen:
Altes Hallenbad in Feldkirch
24.10. / 25.10./ 26.10./ 27.10./ 28.10. jeweils um 19.30 Uhr 29.10. um 11 Uhr