Ein Kampf zwischen Innerfratte und Außerfratte

Die geplanten 50 km/h von St. Anton bis Schruns spalten das gesamte Tal.
Montafon Im Montafon rumort es gewaltig. Die geplante Geschwindigkeitsreduktion auf Tempo 50 spaltet das Tal. Die einen wollen sie, die anderen sind strikt dagegen. Außerfratte gegen Innerfratte. Anrainer gegen Pendler.

Maurice Stampfer aus Vandans ist dagegen. Er hat eine Onlinepetition gestartet, die sich gegen die 50-km/h-Beschränkung richtet, die ab Ortseingang von St. Anton bis zum Käsehaus Schruns gelten soll. Schon 2336 Unterschriften sind zusammengekommen. Besonders St. Gallenkirch hat viele Gegner, wie man an der Onlinepetition sieht. Von 2181 Unterschriften aus dem Bezirk Bludenz fallen allein 349 auf St. Gallenkirch.

Überraschend: Schruns liegt mit 354 Unterschriften vorne. Gaschurn belegt Platz drei mit 286 Unterschriften. „Diese Petition ist als Zeichen an die Entscheidungsträger gedacht. Schon seit geraumer Zeit werden Tag für Tag immer neue Gesetze und Verordnungen über die Köpfe der Bevölkerung hinweg beschlossen, ohne dabei die wahren Interessen der Bürger zu berücksichtigen“, sagt Maurice Stampfer.

Thema polarisiert
Josef Lechthaler, Bürgermeister von St. Gallenkirch, sieht die Geschwindigkeitsreduktion persönlich zwar nicht so schlimm, aber auch er versteht die Wut der Einheimischen. Es sei „ein Kampf zwischen Innerfratte und Außerfratte“. In seiner Gemeindevertretung gebe es „große Gegner“. Die gesamte Gemeindevertretung war eindeutig gegen ein Tempo 50. „Da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen“, mahnt Josef Lechthaler. „Ich persönlich habe mit Tempo 50 kein Problem“, aber er weiß auch, dass sich in letzter Zeit große „Gräben aufgetan“ haben und das Thema im Tal polarisiert.

Der Gründer der Bürgerinitiative „L 188 – Gantschier“, Herbert Tschofen – der Mann, der den Stein überhaupt ins Rollen gebracht hat –, verurteilt die Onlinepetition, die sich gegen sein Anliegen richtet, nicht. Im Gegenteil: „Ich verstehe die Petition, die Montafoner, die schnell aus dem Tal hinauswollen.“ Eigentlich wollen alle das Gleiche: Schnell durch das Tal kommen. Er sieht das Problem woanders: „Es fehlt an einer Umfahrungsstraße und Erschließungsstraße.“ Mit einer Umfahrungsstraße meint Herbert Tschofen, selbst Anrainer der L 188, eine Ortsumfahrung für Gantschier und Schruns, doch das langfristige Ziel müsse die Erschließungsstraße sein, die durch das ganze Montafon führt. Diese sei „unausweichlich und enorm wichtig“. Mit einer Erschließungsstraße, auf der man 80 km/h fahren könnte, wären alle zufrieden und entlastet. Bis so eine Erschließungsstraße – wenn überhaupt – kommt, dauert es Jahrzehnte. „Die Zeit ist jedoch reif dafür“, ist Herbert Tschofen überzeugt.


Fehler liegen in der Vergangenheit
Auch Daniel Sandrell, Bürgermeister von Gaschurn, findet deutliche Worte: „Eine Geschwindigkeitsreduktion ist nicht die Lösung.“ Auch er ist der Meinung, dass es eine Erschließungsstraße durch das ganze Tal braucht. Wie auch Herbert Tschofen die Politik in der Verantwortung sieht und moniert, dass diese die letzten 30, 40 Jahre verschlafen hat, sagt auch Daniel Sandrell, dass „Fehler in der Vergangenheit passiert“ sind – vor allem Raumplanungsfehler. Doch er findet, dass eine Temporeduktion keine Alternative darstellt. So würden auch nicht mehr Leute auf die Bahn umsteigen. Nur, wenn ein Zug von Gaschurn bis Bregenz durchfahre, bringe dies eine Entlastung auf der Straße, doch den zweigleisigen Bahnausbau bis Gaschurn diskutiere man schon seit 40 Jahren – bis jetzt ohne Ergebnis.

„Für uns ist es wichtig, dass die Verbindung durchgängig und schnell ist, nur so bleiben wir als Ort attraktiv. Wenn sich die verkehrliche Situation nicht bessert, haben wir auch mehr Abwanderung“, sagt Daniel Sandrell. Durch die Herabsenkung der Geschwindigkeit werde die Ausfahrt aus dem Tal noch schwieriger. „Dann ziehen die Menschen lieber näher zur Arbeitsstelle.“ Zwar wird die Lärmbelästigung für die Anrainer weniger und auch die Feinstaubbelastung verbessert sich, aber „ich glaube nicht, dass das der große Wurf ist“, so Daniel Sandrell.

Die beiden Bürgermeister der Innerfratte, Daniel Sandrell und Josef Lechthaler, wollen sich mit einem Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Bludenz wenden und sich über die geplante Geschwindigkeitsreduktion beschweren.

Befürworter in der Außerfratte
Dagegen befürworten einige aus der Außerfratte die Geschwindigkeitsreduktion, etwa in St. Anton, wo auch Unterschriften gesammelt wurden. 177 Bürger haben sich für ein Tempo 50 vom Almahüsli bis Innerböden ausgesprochen, doch dies ist nicht die einzige Forderung gewesen. So befürworten die Bürger die Anbringung einer Rotlichtkamera beim Zebrastreifen zum St. Antöner Bahnhof. Hier würden oft Lastwagen bei Rot über den Fußgängerübergang fahren. Falls der Belag auf der Landesstraße erneuert werden muss, soll ein Flüsterasphalt aufgetragen werden. Geschwindigkeitskontrollen fordern die St. Antöner außerdem auf der Bartholomäbergerstraße, da sich die meisten Pkw- und Lkw-Fahrer nicht an die erlaubten 40 km/h halten, sondern talwärts mit bis zu 60 km/h durch den Ort rasen.

„Erschließungsstraße unrealistisch“
Jürgen Kuster, Bürgermeister von Schruns, findet die 50 km/h nicht verwerflich. Durch die Geschwindigkeitsreduktion werden Lärm und Feinstaub reduziert und die Sicherheit nimmt zu. „Zehn km/h weniger machen schon was aus.“ Doch mit der Geschwindigkeitsreduktion ist es nicht getan. Auch ein Gehsteig soll auf der L 188 für mehr Sicherheit sorgen und Fußgängerinseln sollen als Verkehrsbremse dienen. Doch wann diese Maßnahmen umgesetzt werden, steht noch in den Sternen. Jürgen Kuster rechnet nicht damit, dass ein Gehsteig im heurigen Jahr gebaut wird. Dafür bräuchte die Gemeinde erst einmal die Grundstücke.

Auch eine Ortsumfahrung oder gar eine Erschließungsstraße durch das Montafon findet Jürgen Kuster unrealistisch. „Ich glaube nicht, dass längerfristig Straßenprojekte leicht umsetzbar sind. Wenn ich mir das Budget von den Gemeinden anschaue, wird mir schlecht.“ Auch er ist sich bewusst, dass dieses Thema ein sehr emotionales ist, doch im Endeffekt sind viele Anrainer davon betroffen und für die müsse die Lebensqualität verbessert werden. Diese sei höher einzustufen, als dass die Autofahrer schnell von A nach B kommen. VN-JUN
