Johannes Rauch zur Regierungskrise: “Einmal tief durchatmen”

Streit um EU-Gesetz: ÖVP und Grüne hätten schon ganz andere Geschichten bewältigt, etwa den unfreiwilligen Abgang von Sebastian Kurz, sagt der Sozialminister.
Schwarzach Das Verhältnis zwischen ÖVP und Grünen war schon besser. Nachdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) gegen den Willen der ÖVP für das EU-Renaturierungsgesetz stimmte, wird es am Mittwoch keine gemeinsame Regierungssitzung geben, bei der Präsenz erforderlich ist. Notwendige Beschlüsse würden per Umlauf gefasst, heißt es aus dem Bundeskanzleramt. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) berichtet den VN, wie es tatsächlich um den Koalitionsfrieden steht.
Wie empfinden Sie die aktuelle Situation für die Koalition von ÖVP und Grünen?
Rauch Meine politische Erfahrung sagt: Einmal tief durchatmen. Ich verstehe die Emotionen, ich verstehe, dass die Wogen manchmal hochgehen. Aber Leonore Gewessler hat letztlich eine sachpolitische Entscheidung getroffen. Es gibt in Österreich keine Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Die Fachministerinnen und -minister entscheiden in ihrem eigenen Wirkungsbereich. Leonore Gewessler hat absolute Topjuristen beigezogen und ihre rechtlichen Möglichkeiten sorgfältigst geprüft.
Landeshauptmann Markus Wallner wirft ihr Verfassungsbruch vor.
Rauch Es ist schlicht falsch, davon zu reden, noch dazu ohne juristische Kenntnisse. Es gibt keine eindeutige Judikatur zum Thema einheitlicher Länderstellungnahmen. Da fehlt die Rechtsprechung. Leonore Gewessler hat eine Entscheidung für den Umwelt- und Naturschutz getroffen. Das zeigt, dass es noch Ministerinnen und Minister gibt, die nicht taktisch, sondern sachpolitisch arbeiten.
Wallner wirft Gewessler vor, sie hätte sich an die rechtliche Einschätzung des Verfassungsdienstes halten müssen. Ist das so?
Rauch Man kann von dem Landeshauptmann nicht verlangen, dass er die Abläufe in einer Bundesregierung kennt. In der täglichen Arbeit gibt es in den Ministerien in vielen Fragen unterschiedliche Rechtsauffassungen. Es ist immer eine Abwägung und manchmal endet all das bei Höchstgerichtsurteilen, um endgültige Klarheit herbeizuführen. Aber ein Gesetz oder die Verfassung, ist nicht wie das physikalische Gesetz der Schwerkraft. Es gibt immer Interpretationsspielräume.
Wie kann man denn überhaupt noch zusammenarbeiten, wenn man weiß, dass der Koalitionspartner eine Ministerin aus den eigenen Reihen auf Amtsmissbrauch klagt?
Rauch Auch da gilt: Wir haben schon ganz andere Geschichten bewältigt. Ich erinnere dabei an den nicht ganz freiwilligen Abgang von Sebastian Kurz. Wir haben trotzdem weitergearbeitet. Jetzt sind es noch drei Monate bis zur Wahl. Es gibt im Juli noch ein Plenum im Nationalrat, wo eine ganze Reihe von Beschlüssen gefasst werden. Man sollte nicht so tun, als würde jetzt Chaos ausbrechen. Das ist sicherlich nicht der Fall. Diese Regierung wird bis zum Wahltag durcharbeiten. Der Rest wird Teil der Wahlauseinandersetzung sein.