Anonymer Hinweis auf einen “Schrottplatz” im Naturschutzgebiet: Betroffener Landwirt Jürgen Burtscher klärt auf

VN / 16.07.2024 • 08:13 Uhr
Anonymer Hinweis auf einen "Schrottplatz" im Naturschutzgebiet: Betroffener Landwirt Jürgen Burtscher klärt auf
Landwirt Jürgen Burtscher erzählt, wie hart der Arbeitsalltag eines Landwirts ist. Bilder: VN/JUN

Ein anonymer Brief enthüllt vermeintlich umweltschädliche Zustände im Natura2000-Gebiet auf dem Ludescherberg. Landwirt Jürgen Burtscher nimmt Stellung zur Kritik und beleuchtet den herausfordernden Arbeitsalltag eines Bergbauern.

Ludesch Von „sehr umweltschädlichen Zuständen“ war die Rede, als ein anonymer Hinweisgeber den VN einen Brief schrieb, um auf einen Missstand im Natura2000-Gebiet am Ludescherberg aufmerksam zu machen. Oberhalb des obersten Bauernhofs, dem von Jürgen Burtscher, stehen „viele alte Maschinen und Geräte mit Ölverlusten kreuz und quer im Naturschutzgebiet“.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Altes Holz liegt kreuz und quer hier herum.
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Schiffscontainer, alte Gerätschaften… hier im Natura2000-Gebiet wurde vieles abgestellt.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
1200 Hühner besitzt Jürgen Burtscher.

Bei einem Lokalaugenschein bestätigte sich der Hinweis teilweise: Links und rechts vom Weg stehen tatsächlich alte landwirtschaftliche Gerätschaften und Anhänger herum, Stahlseile und -träger, Rohre, Holz und Schiffscontainer. Ölverluste waren keine zu erkennen. Ohne Hintergrundwissen könnte man meinen, es handle sich um einen illegalen Schrottplatz.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Verrostetes Blech und Plastikrohre passen ebenfalls nicht ins ansonsten idyllische Landschaftbsbild.
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Erich und Doris Zucalli, er zweiter Vorsitzender beim Alpenschutzverein, sie Referentin für Natur und Umweltschutz bei den Naturfreunden, machten sich selbst ein Bild vom “Schrottplatz”.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
35 Kühe brauchen 600 Kilogramm Heu am Tag.

18-stündiger Arbeitstag

Landwirt Jürgen Burtscher war schockiert über den Hinweis an die VN und wollte die Hintergründe erklären. Seine Arbeitstage dauern oft 18 Stunden, von 4.15 bis 23 Uhr, und trotzdem sind dann noch nicht alle Arbeiten erledigt. Auch seine vier Kinder und seine Lebensgefährtin müssen mit anpacken, denn allein wäre ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Tierhaltung nicht zu bewältigen. Den Hof, der in fünfter Generation betrieben wird, aufzugeben, ist für ihn keine Option, obwohl Urlaub und Freizeit selten sind und die finanziellen Sorgen allgegenwärtig. Deshalb hat Burtscher mehrere Jobs: Er ist auch Skilehrer, Holzfäller und Bauarbeiter.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Jürgen Burtscher räumt selbst ein, dass er hier Ordnung schaffen muss.
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Stahlseile und Zaun werden gelagert.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
Die Maschinen sind im Einkauf teuer und amortisieren sich erst über Jahre.

Die laufenden Betriebskosten (Versicherungen, Diesel und Strom) belaufen sich auf 40.000 Euro im Jahr. Die Förderungen decken diese Kosten gerade so ab. Marketing, Büroarbeit und die Renovierung der Ferienwohnung kommen neben der Stallarbeit hinzu. Eigentlich bräuchte Burtscher allein für die Büroarbeit (60 Ordner) eine Vollzeitsekretärin.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Anders wie vom anonymen Hinweisgeber beschrieben, konnten wir keinen Ölaustritt feststellen.
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Erich Zucalli inspiziert die Geräte, doch einen Ölverlust konnte er nicht feststellen.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
Neue Gerätschaften kann sich Jürgen Burtscher nicht leisten, weshalb er alles selbst repariert.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
Jürgen Burtscher will aufklären und erzählt, was es heißt, Landwirt in Zone 4 zu sein.

Burtscher bewirtschaftet mit seiner Familie 30 Hektar Land, davon 16 Hektar Magerwiesen. „Mir liegt dieses Gebiet besonders am Herzen“, sagt er. Er und die anderen drei Landwirte sorgen dafür, dass es hier oben eine Arten- und Naturvielfalt gibt. Der Ludescherberg wurde deshalb zum Natura2000-Gebiet erklärt.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Für Jürgen Burtscher ist es ein Lagerplatz für Ersatzteile, damit er kaputte Geräte reparieren kann.
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
Auch auf dem Hof lagern Ersatzteile.

Kaum Förderung

Da der Bergbauernhof Burtscher in der Zone 4 (steilste Zone in Österreich) liegt, kann man nur Bruchteile der Menge produzieren, wie in der Gunstlage. Die Magerwiesen geben ebenfalls nicht viel Ertrag her und trotzdem brauchen die 35 Kühe und Rinder etwa 600 Kilogramm Heu am Tag. Das Dilemma: Die Agrarfördergelder dienen laut Burtscher nicht einem sozialen Ausgleich. „Da wird die Produktionsleistung gefördert und so profitieren die Gunstlagen mit Monokultur und Massentierhaltung. Ein Getreidebauer bekommt etwa das doppelte öffentliche Geld pro Arbeitskraft als ein Bergbauer, der Tierhaltung und Grünland hat“, erklärt Burtscher. „Der Tag ist zu kurz und das Pensum zu viel. Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft verdient in unseren Regionen nur 600 Euro im Monat“, sagt Burtscher. Darum müssen viele Bergbauern noch zusätzlich einem Job nachgehen und kommen damit an ihre Leistungsgrenze.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Alles, was man noch irgendwie verwenden kann, wird oberhalb vom Bauernhof gelagert.

Die Kinder wollen den Hof übernehmen, doch Burtscher hat Wehmut dabei. „Du bist der Sklave der Gesellschaft. Wir werden nur ausgebeutet.“ Das Problem liege nicht beim Konsumenten, denn dieser sei bereit, mehr für ein Produkt zu zahlen. Das Problem liege vielmehr beim Handel, der 65 Prozent (bei Milch) vom Produktpreis in die eigene Tasche wirtschaftet. Daher setzt Burtscher auf Direktvermarktung und hat seinen Betrieb um 1200 Hühner erweitert. Sechs Kühlschränke mit seinen Produkten stehen in der Region.

Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Jürgen Burtscher, Bergbauernhof, Ludescherberg, Landwirt, Bauernhof
Jürgen Burtscher bewirtschaftet den Hof zusammen mit seiner Lebensgefährtin.

Teure Gerätschaften

Zurück zum „Schrottplatz“: Burtscher weiß, dass der Lagerplatz aufgeräumt werden muss. Doch dem Aufräumen wird nur wenig Zeit geschenkt, denn „wir Bauern schauen zuerst auf unsere Tiere und unsere Mitmenschen, erst dann auf das finanzielle Gleichgewicht und die Felder. Auf uns selbst schauen wir am wenigsten.“ Die Maschinen sind im Einkauf teuer und amortisieren sich erst über Jahre. Die dort liegenden Gerätschaften und Materialien sind alt, aber funktionstüchtig und werden noch verwendet. „Ich kann mir keine neuen Gerätschaften leisten.“ Bevor etwas neu gekauft wird, wird es repariert oder selbst gebaut. Der Platz oberhalb des Hofs dient als Ersatzteillager. „Die Geräte gehen immer dann kaputt, wenn wir sie brauchen“, so Burtscher. Ein Mähtraktor kostet etwa 150.000 Euro, eine Mähmaschine 45.000 Euro, ein Motorkarren 180.000 Euro, der Heukran 60.000 Euro, ein Melkstand 100.000 Euro. „Da bleibt kaum etwas übrig. Die Kredite laufen weiter und auch wir müssen weitermachen.“

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Ludescherberg, Bergbauernhof Burtscher
Der Bergbauernhof Burtscher am Ludescherberg.
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Jürgen Burtscher setzt auf Direktvermarktung seiner Produkte.
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Der Futterdämpfer ist seit fast 80 Jahren im Gebrauch und funktioniert immer noch.
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Für die Bewirtschaftung der Bergwiesen kommen Laubbläser zum Einsatz.

das sagt Landesrat Christian Gantner

Das Land Vorarlberg stellt neben den Landesmitteln, die als Länderanteil in die GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) einfließen, beträchtliche zusätzliche Landesgelder für die landeseigenen Landwirtschaftsförderprogramme bereit, mit einem besonderen Fokus auf das Berggebiet:


• Das Land Vorarlberg nutzt als einziges Bundesland die Möglichkeit für ein Ausgleichszulagen-Top-up in voller Höhe, das sind jährlich rund drei Millionen Euro, zusätzlich zu den ca. zwölf Millionen Euro an kofinanzierter Ausgleichszulage (EU/Bund/Land). Die Höhe dieser Zahlungen richtet sich nach dem Ausmaß der betriebsindividuellen Bewirtschaftungserschwernis.
• Weiters sichern die zusätzlichen Fördermaßnahmen „Landesunterstützung Viehhaltung (4,1 Millionen Euro)“ und „Landes-Alpungsprämie (1,2 Millionen Euro)“ eine flächendeckende Bewirtschaftung unserer Kulturlandschaft vom Berg bis ins Tal.
• Bei der Leistungsabgeltung für die Viehhaltung und beim Ausgleichszulagen-Top-up werden die Betriebsgröße und die betriebliche Erschwernis besonders berücksichtigt. Kleinbetriebe und Bergbauernbetriebe erhalten damit eine höhere Leistungsabgeltung.
• Mit dem ÖPUL-Top-up des Landes werden die Anreize für die Bewirtschaftung unserer Bergmähwiesen sowie die Milchkuh- und Sennalpen mit zusätzlich jährlich rund 500.000 Euro verstärkt.
• Im Sinne des „Drei-Säulen-Modells der nachhaltigen Entwicklung“ wird bei der Abgeltung ökologischer Leistungen auf Basis der Sozialversicherungsbeiträge auf eine Nachhaltigkeits-Staffelung geachtet. Jährlich werden dafür weitere 2,5 Millionen Euro an reinen Landesmitteln eingesetzt.

In gesamtheitlicher Betrachtung erhalten die Betriebe in den extremen Bergbauernregionen (ehemals „Erschwerniszone 4“) den höchsten flächenbezogenen Fördersatz.


Die Prämien für die Ausgleichszulage werden um acht Prozent angehoben, zudem ist ein zusätzliches Top-up für die Erschwernisgruppen 3 und 4 vorgesehen:

• Rund 14 Euro/ha mehr für die Erschwernisgruppen 1 und 2

• Rund 33 Euro/ha mehr für Erschwernisgruppen 3 und 4

Mit diesen zielgerichteten Leistungsabgeltungen bietet das Land Vorarlberg wertschätzende Rahmenbedingungen für die bäuerlichen Familienbetriebe, damit diese ihren Bauernhof zukunftsfähig weiterentwickeln können.

In keinem anderen Bundesland in Österreich wird bei den landwirtschaftlichen Leistungsabgeltungen ein derart starker Fokus auf die Betriebe in den extremen Bergregionen und der Abgeltung von naturbedingten Erschwernissen gelegt, wie in Vorarlberg.