Ein Abend voller Erinnerungen

VN / 01.09.2024 • 14:43 Uhr
Anne Sofie von Otter, Kristian Bezuidenhout
Die Stimme von Anne Sofie von Otter ist immer noch makellos und strahlend. schubertiade

Anne Sofie von Otter lässt bei ihrem Liederabend große Zeiten wieder lebendig werden.

SCHWARZENBERG Mit etwas gemischten Gefühlen betritt man am Freitag den Angelika-Kauffmann-Saal. Eine der großen Sängerpersönlichkeiten unserer Zeit ist angesagt, die Schwedin Anne Sofie von Otter, der Schubertiade seit 1994 und damit eine halbe Ewigkeit mit zahlreichen Auftritten eng verbunden. Doch genau das ist es auch, denn die Zeit bleibt ja nicht stehen. Wie alt ist denn Frau von Otter überhaupt, hört man ihr Publikum im ausverkauften Saal raunen. Wird die Mezzosopranistin noch die Leistung erbringen, die Erinnerungen wecken, die ihre langjährigen Zuhörer von ihr erwarten, die zusammen mit ihr gealtert sind? Es bleibt spannend.

Anne Sofie von Otter, Kristian Bezuidenhout
Anne Sofie von Otter und am Klavier Kristian Bezuidenhout. schubertiade

Die Hitze, die über dem Land liegt, macht die Sache nicht einfacher. Immerhin hat sich die Künstlerin mit kleinen Anpassungen ihren Auftritt erleichtert. Sie singt, anstelle der zunächst vorgesehenen „Winterreise“, den kürzeren kompletten Zyklus „Schwanengesang“, unterteilt diese 14 Lieder aber durch drei eingeschobene langsame Schubert-Klavierstücke in fünf Blöcke. So kommt sie damit auf die erforderliche Konzertlänge und hat immer wieder auch willkommene Atempausen. Dass das Publikum diese Einschübe durch lästigen Applaus unterbricht, scheint sich seit Golda Schultz hier zu einer Epidemie auszuwachsen. Zudem bedient sich ihr langjähriger Begleiter, der Südafrikaner Kristian Bezuidenhout, eines Hammerklaviers als Nachbau aus der Werkstatt Conrad Graf von 1819, das mit seinem verhaltenen, samtenen Klang in tiefer Stimmung gegenüber einem modernen Konzertflügel der Stimme Schonung verschafft.

Anne Sofie von Otter, Kristian Bezuidenhout
Beim „Fischermädchen“ huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. schubertiade

Doch diese Rücksichtnahmen hat die Künstlerin gar nicht notwendig, denn ihre gesanglichen Mittel und Möglichkeiten sind großteils intakt geblieben. Ihre Stimme sitzt und hat Glanz, wenn auch etwas herbstlich eingedunkelt. Die Künstlerin will damit beweisen, was sie als blonde Diva mit strenger Frisur und ebensolchem Gesichtsausdruck noch drauf hat an ungebrochener Gestaltungskraft, an Intensität des Ausdrucks, aber ohne ihre ausgeflippten Eskapaden der Vergangenheit. Der Zyklus „Schwanengesang“ bietet dafür reichlich Gelegenheit, er wurde nach Schuberts Tod von seinem Verleger Haslinger mit späten Liedern nach Texten von Ludwig Rellstab, Heinrich Heine und Johann Gabriel Seidl zusammengestellt. Anders als „Müllerin“ und „Winterreise“ besitzt diese Sammlung jedoch keinen durchgehenden Handlungsfaden, an dem die Sängerin und ihr Publikum sich gedanklich fortspinnen können, sondern ist eine bis heute beliebig zu reihende Spielwiese aus lockeren, freundlichen (Rellstab) wie beängstigend schwergewichtigen Gesängen (Heine).

Anne Sofie von Otter, Kristian Bezuidenhout
Ein Kavalier der alten Schule überreichte der Sängerin eine Rose. schubertiade

Und da kehrt Frau von Otter nun allzu oft die in ihren Auftritten bejubelte Opernsängerin mit dramatischer Attacke und berühmten Spitzentönen hervor, wo etwa gleich beim einleitenden „Rauschenden Bächlein“ wohl mehr Innigkeit und Pianokultur am Platz gewesen wären. Erst beim „Fischermädchen“ im zweiten Teil huscht erstmals ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht, werden damit ihre Liedinterpretationen natürlicher, fröhlicher, unangestrengter. Ihr Klavierpartner passt sich wunderbar an, bewältigt auch die hasardierend heikle Begleitung im „Abschied“ makellos. Nur sein erster Solo-Einschub mit dem Impromptu c-Moll klingt reichlich verschleppt.

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Nach dem gemeinsamen dramatischen Höhepunkt mit dem unter die Haut und in die Tiefen ihres Mezzos gehenden „Doppelgänger“ ist die liebliche „Taubenpost“ ein federleichter Nachhall. Ein Kavalier der alten Schule überreicht der Sängerin unter dem Jubel des Publikums eine Rose und erinnert damit an die große Zeit mit ihrer Paraderolle als Oktavian im „Rosenkavalier“. Ihre Zugabe, das Schubert-Melodram „Abschied von der Erde“, offenbart erneut die schauspielerische Präsenz dieser bis heute gültigen imposanten Bühnenerscheinung.


FRITZ JURMANN