Warum Vergewaltiger Jahrzehnte nach der Tat noch verurteilt werden können

VN / 20.09.2024 • 11:43 Uhr
Warum Vergewaltiger Jahrzehnte nach der Tat noch verurteilt werden können
“Viele Opfer finden erst im Erwachsenenalter die Kraft, eine Anzeige zu erstatten.” – Richter Martin Mitteregger vom Landesgericht Feldkirch über die Hürden, denen minderjährige Opfer von Sexualstraftaten häufig gegenüberstehen. VN/PAULITSCH

Auch wenn Missbrauchsdelikte schon lange zurückliegen, werden sie immer noch von der Justiz verfolgt. Doch der Weg zur Gerechtigkeit bedeutet mitunter auch eine große Herausforderung, wie der erfahrene Feldkircher Strafrichter Martin Mitteregger im VN-Gespräch darlegt.

FELDKIRCH Durch verstärkte Aufklärung und den gesellschaftlichen Wandel finden immer mehr Opfer von Sexualverbrechen den Mut, ihre Peiniger anzuzeigen. Diese Woche wurde am Landesgericht Feldkirch ein Fall verhandelt, in dem zwei Missbrauchsopfer ihren Vergewaltiger nach Jahrzehnten vor Gericht brachten. Der Mann, der sie im Kindesalter vor etwa 20 Jahren sexuell missbraucht hatte, wurde zu einer Haftstrafe verurteilt (die VN berichteten).

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Solche Fälle sind an österreichischen Gerichten keine Seltenheit mehr. Doch die komplexen Verjährungsfristen und der oft schwer nachvollziehbare Umgang der Ermittlungsbehörden mit lange zurückliegenden Taten stellen zusätzliche Hürden für die Opfer dar. Was Betroffene oft daran hindert, eine Anzeige zu erstatten. Die VN haben darüber mit Richter Martin Mitteregger vom Landesgericht Feldkirch gesprochen. Er hat jahrelange Erfahrungen als Vorsitzender bei Schöffengerichtsverhandlungen, in denen es um Sexualstraftaten ging.

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Fragen und Antworten

Verjährt jede Straftat, oder gibt es Ausnahmen?

Mitteregger: Grundsätzlich verjährt jede Straftat. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa das Verbrechen des Mordes, das nicht verjährt.

Wann beginnt die Verjährung und wie wird sie im Falle von mehreren aufeinanderfolgenden Taten berechnet?

Mitteregger: Die Verjährung beginnt mit der Vollendung der Tat. Bei mehreren Taten wird die Verjährung unterbrochen, wenn innerhalb der Frist eine weitere Tat begangen wird – die Verjährung startet dann neu.

Warum Vergewaltiger Jahrzehnte nach der Tat noch verurteilt werden können
„Wir als Richter müssen uns in die Erlebnisse der Opfer hineinversetzen.“ Richter Mitteregger zur Aufgabe der Gerichte bei der Beweisführung. VN/PAULITSCH

Warum beginnt die Verjährungsfrist bei Vergewaltigungen von Minderjährigen erst mit deren 28. Lebensjahr?

Mitteregger: Viele Opfer, insbesondere Jugendliche oder Unmündige, haben oft erst im Erwachsenenalter die Kraft, eine Anzeige zu erstatten. Das Erlebte wird vorher häufig verdrängt und erst später kommen Erinnerungen oder psychische Belastungen ans Licht. Deshalb beginnt bei Vergewaltigungen von Minderjährigen die Verjährung erst mit dem 28. Lebensjahr des Opfers und läuft dann für 20 Jahre.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Beweissicherung bei lange zurückliegenden Taten?

Mitteregger: Eine große Herausforderung ist die Beweiskraft, da die Erinnerungen der Opfer mit der Zeit verblassen oder sich verändern können. In vielen Fällen gibt es keine materiellen Beweise und die Gerichte müssen sich stark auf die Aussagen der Betroffenen stützen. Das macht es schwieriger, zu beurteilen, was tatsächlich geschehen ist.

Warum Vergewaltiger Jahrzehnte nach der Tat noch verurteilt werden können
Richter Martin Mitteregger erklärt, dass die Verjährung bei Vergewaltigungen erst mit dem 28. Lebensjahr des Opfers beginnt. VN/PAULITSCH

Können pauschale Aussagen über die Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Taten, die lange zurückliegen, die Opfer nicht abschrecken?

Mitteregger: Es könnte sein, dass Opfer zögern, eine Anzeige zu erstatten, wenn sie hören, dass es nach vielen Jahren schwierig ist, Beweise zu sichern. Deshalb ist es wichtig, ihnen zu vermitteln, dass ihre Aussagen auch nach langer Zeit noch Bedeutung haben. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass eine Anzeige aussichtslos ist.

Wie werden Opfer über die Herausforderungen der Beweisführung bei lange zurückliegenden Taten aufgeklärt?

Mitteregger: Opfer müssen darüber aufgeklärt werden, dass die Beweissicherung nach vielen Jahren schwierig sein kann, weil konkrete Beweise fehlen könnten. Hier ist es entscheidend, dass wir als Richter die Fähigkeit besitzen, uns in die Erlebnisse der Opfer hineinzuversetzen und nachzuvollziehen, wie die Taten abgelaufen sein könnten. Die Beweislage kann schwierig sein, aber das sollte das Opfer nicht davon abhalten, sich zu melden.

Warum Vergewaltiger Jahrzehnte nach der Tat noch verurteilt werden können
„Gerichte müssen immer auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Vorwürfe erfunden sein könnten.“ – Mitteregger zur Unparteilichkeit in Strafverfahren. VN/PAULITSCH

Welche Auswirkungen hat die späte Strafverfolgung auf die Täter?

MittereggeR: Einige Täter führen mittlerweile ein geregeltes Leben, vielleicht mit Familie und Beruf. Wenn sie nach vielen Jahren vor Gericht gestellt werden, hat das oft gravierende Auswirkungen auf ihr gesamtes Umfeld. Solche späten Strafverfolgungen können das Leben der Täter grundlegend verändern, insbesondere wenn Freiheitsstrafen drohen.

Wie gehen die Gerichte mit der Möglichkeit um, dass Vorwürfe erfunden sein könnten?

Mitteregger: Natürlich müssen die Gerichte auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Vorwürfe aus verschiedenen Gründen erfunden sein könnten. Unsere Aufgabe ist es, alle Fakten und Beweise sorgfältig zu prüfen. Wichtig ist dabei, nicht voreingenommen an den Fall heranzugehen, sondern den Sachverhalt sachlich zu bewerten.

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Mitteregger betont, dass Verjährungsfristen für Opfer genügend Zeit bieten, eine Anzeige zu erstatten. VN/PAULITSCH

Wie bewerten Sie die derzeitige Regelung zur Verjährung bei Kindesmissbrauch?

Mitteregger: Die Regelung, dass die Verjährung erst mit dem 28. Lebensjahr beginnt und dann 20 Jahre läuft, ist meiner persönlichen Meinung nach gut bemessen. Die bestehende Regelung bietet den Opfern ausreichend Zeit. Eine Änderung dieser Frist wäre wahrscheinlich nicht unbedingt der ausschlaggebende Faktor, um ein Opfer zur Anzeige zu bewegen.

Wie sehen Sie die Diskussion über Verjährungsfristen bei Vergewaltigungen grundsätzlich?

Mitteregger: Es gibt keine einfache Antwort darauf, welche Frist ideal ist. Es geht immer darum, eine faire Balance zu finden: Einerseits müssen die Opfer ausreichend Zeit bekommen, um den Mut zu fassen, eine Anzeige zu erstatten. Andererseits müssen wir sicherstellen, dass die Beschuldigten ein faires Verfahren erhalten.

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Hilfe bei sexuellem Missbrauch

Unangenehme Berührungen, erzwungenes Zuschauen bei sexuellen Handlungen, Entblößen oder Vergewaltigung sind Formen von Missbrauch. Wenn Sie Hilfe benötigen, zögern Sie nicht, Unterstützung zu suchen.

IFS Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt
Johannitergasse 6, 6800 Feldkirch
Telefon: +43 5 1755 -536
frauenberatungsstelle@ifs.at

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