Bludesch-Gais: Wie ein Pilotprojekt neu zugewanderten Kindern beim Spracherwerb hilft

VN / 26.09.2024 • 07:55 Uhr
Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Mohammad Rhamo (hinten links) unterrichtet die Volksschüler der Volksschule Nenzing (mit Direktor Michael Fattor, rechts) und der Volksschule Satteins (mit Direktorin Daniela Scheer, Mitte).Bilder: VN/JUN

In Bludesch-Gais helfen Deutschförderklassen neu zugewanderten, teils nicht alphabetisierten Kindern, sich im Schulalltag zurechtzufinden und die deutsche Sprache zu erlernen. Dieses Konzept hat gleich mehrere Vorteile für die Kinder und die Schule.

Bludesch Seit diesem Schuljahr besuchen 33 Kinder die Deutschförderklassen in Bludesch-Gais, deren Räume zuvor ein Kindergarten waren. „Lernraum Schule und Kultur“, so nennt es Schulqualitätsmanager Bertram Summer, ist ein Pilotprojekt, das sich auf neu zugewanderte Kinder konzentriert, die weder alphabetisiert noch mit dem Schulalltag vertraut sind. Die Kinder seien teils desozialisiert, erklärt Mustafa Can, der in der Bildungsdirektion für Flucht, Migration und Integration verantwortlich ist. Man müsse sie behutsam auf den Schulalltag vorbereiten und auch in ihren Herkunftssprachen fördern. Die Lehrer, die dieselbe Muttersprache sprechen, seien für diese Kinder wichtige Bezugspersonen.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Schulqualitätsmanager Bertram Summer hat das Pilotprojekt „Lernraum Schule und Kultur“ getauft.
Deutschförderklasse Bludesch-Gais
V. l.: Bettina Prax (Direktion PTS Bludenz), Lehrerin Olena Honcharenko, Schulqualitätsmanager Bertram Summer, Michael Fattor (Direktion VS Nenzing), Annette Walter (Direktion SMS Nenzing), Lehrer Mohammad Rahmo, Diversitätsmanager Mustafa Can, Daniela Scheer (Direktion VS Sattein) und Ivo Walser (Schulqualitätsmanager, u. a. für den Wagau).

Mohammad Rahmo, ehemals Volksschullehrer in Syrien und seit zweieinhalb Jahren in Österreich, betont: „Die Kinder brauchen Unterstützung in ihrer Muttersprache, damit sie Deutsch lernen können.“ Daniela Scheer, Direktorin der Volksschule Satteins, freut sich über die Fortschritte: „Die Kinder sind begeistert, sie haben ohne Hemmungen vorgelesen.“ Eine solch intensive Betreuung könne eine reguläre Schule nicht leisten.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Olena Honcharenko (2. v. r.) unterrichtet die 15 polytechnischen Schüler von der PTS Bludenz unter der Leitung von Bettina Prax (3. v. r.).
Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Der Garten ist sehr groß. Hier können die Schüler ihre Pausen verbringen.

Rückführung ist oberstes Ziel

Die Schüler nehmen weiterhin am Sport-, Werks- und Musikunterricht ihrer Stammschulen teil, um den Kontakt zu ihren Mitschülern nicht zu verlieren. „Wir wollen die Kinder bestmöglich auf den Unterricht vorbereiten und sie nicht ausgrenzen“, sagt Schulqualitätsmanager Ivo Walser. Ein Rückwechsel an die Stammschule ist möglich, wenn sie den MIKA-D Test bestehen. Viele schulpflichtige Kinder gehen nicht zur Schule, weil sie dem Unterricht sprachlich nicht folgen konnten, so Summer. Das wollte er ändern.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Die kürzlich zugewanderten Kinder lernen natürlich auch etwas über das Land Österreich.
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Die Klassenräume sind aufgrund der großen Fenster sehr lichtdurchflutet.

Michael Fattor, Direktor der Volksschule Nenzing, sieht das Wohlbefinden der Kinder als entscheidend an. Bettina Prax, Direktorin der PTS Bludenz, findet das Pilotprojekt ein „wundervolles Ergebnis“. Die Schulen können Synergien nutzen, die durch die Schulautonomie ermöglicht werden. Kinder, die in regulären Schulen nur sechs Stunden Deutschförderung erhalten würden, bekommen hier gezielt die Unterstützung, die sie brauchen. „Das ist eine riesige Chance für die Kinder“, betont Daniela Scheer. In ihrer Stammschule könnten sie noch nicht kommunizieren, hier aber werden sie in ihrer Muttersprache abgeholt.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Früher noch Kindergarten, jetzt Unterrichtsraum: Die Schüler lernen das Präsens und eignen sich damit einen Grundstock an Grammatik an.
Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Die Mittelschüler haben nach dem Vormittagsunterricht in der Deutschförderklasse am Nachmittag regulären Unterricht an ihrer Stammschule.

Die Mittelschule Nenzing, die PTS Bludenz und die Volksschulen Nenzing und Satteins haben ihre Ressourcen gebündelt. Zwei Drittel der Schüler kommen aus arabischen Ländern, einige aus der Ukraine. Volksschüler werden vier Stunden täglich unterrichtet, Mittelschüler fünf Stunden. Ein spezieller Lehrplan für Deutschförderklassen legt den Grundstock, bei dem die Kinder zuerst 50 Wörter, zwei Artikel und drei Verben lernen. „Es ist entscheidend, dass die Kinder in der polytechnischen Schule Deutsch sprechen“, erklärt Bettina Prax, da sie nach einem Jahr auf den Arbeitsmarkt kommen und dort Deutsch Grundvoraussetzung sei.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Die Kinder sind teilweise noch nicht einmal alphabetisiert und müssen dies erst noch lernen.
Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Die Kinder malten die Flagge ihres Herkunftslandes.

Im „Lernraum Schule und Kultur“ werden nicht nur Sprachkenntnisse vermittelt, sondern auch Sitten, Werte und Gewohnheiten. „Einige Kinder waren noch nie in einer Schule oder im Kindergarten“, so Summer und erzählt von syrischen Mädchen, die nicht wussten, wie man nach dem Toilettengang die Hände wäscht.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Auch ein Bewegungsraum steht ihnen zur Verfügung.

Ideale Lage

Für Ivo Walser ist die Deutschförderklasse eine Win-Win-Situation: „Die Kinder und Stammschulen werden entlastet“, und die Muttersprache helfe als Brücke zu den Eltern und Kindern. Das Land unterstützt das Projekt, indem es die Miete zahlt, und der Standort Bludesch-Gais ist ideal durch seine Nähe zum Erstaufnahmezentrum in Nenzing. Die Lehrer Mohammad Rahmo, Nataliya Neier, Olena Honcharenko und Farahnaz Abeli, nutzen so die Räumlichkeiten des ehemaligen Kindergartens, der mit den Öffis gut erreichbar ist, sinnvoll.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Das Gebäude diente bis vor Kurzem noch dem Kindergarten Bludesch-Gais.

Nataliya Neier hat zwei Jahre ukrainische Kinder an der Mittelschule Nenzing unterrichtet. „Die Kinder haben schnell Deutsch gelernt“, sagt sie. Viele Kinder waren traumatisiert, doch sie waren innerlich stark. Die gelernte Hebamme und Krankenschwester spürt, dass die Kinder Geborgenheit und Sicherheit brauchen. Annette Walter, Direktorin der Mittelschule Nenzing, ergänzt: „Anfangs wollten die ukrainischen Kinder nur nach Hause, aber jetzt möchten sie gerne in Österreich bleiben.“ Olena Honcharenko, die 14 Jahre in der Ukraine als Lehrerin gearbeitet hat, unterrichtet nun eine der drei Deutschförderklassen. Auch sie hat vor zwei Jahren bei Null angefangen und musste die deutsche Sprache erst erlernen.

Deutschförderklasse Bludesch-Gais
Nataliya Neier ist seit zwei Jahren Lehrerin an der Mittelschule Nenzing.
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Hier lernen die Schüler das Aphalbet.