Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Streiflicht: Franz 2.0

VN / 29.04.2025 • 08:28 Uhr

Ah, da drüben steht der Franz. Wie, das ist der Franz? Der in der Schule keinen geraden Satz herausbrachte? Dessen Körperhygiene stets zu wünschen übrig ließ? Der bei Ballspielen auf der Reservebank versauerte und heimlich Süßigkeiten hortete? Dem wir die Mäuseplage verdankten? Dieser Franz? Aber es steht außer Zweifel: Der graumelierte Endfünfziger im beigen Sakko, der eben einer überaus aparten Erscheinung den Stuhl zurechtrückt und dann dem italienischen Kellner in dessen Muttersprache einen kleinen Scherz zuraunt, das ist der Franz. Die Wetten auf ihn standen miserabel im Internat. So kann man sich täuschen!

Die deutsche Philosophin Natalie Knapp zeichnet in ihrem Buch über Zeiten der Unsicherheit das Bild der Kirschblüte. Wundervoll gewachsen, in zartem Rosa und Weiß, ist sie ein Sinnbild für Schönheit und Vergänglichkeit. Doch selbst die vollkommene Kirschblüte sagt nichts darüber aus, ob sie sich in eine perfekte Kirsche verwandeln wird. Umgekehrt kann eine kleine, unscheinbare Blüte, die nie Beachtung fand, die köstlichste Frucht hervorbringen.

Immer wenn sich vorschnelle Urteile so aufdrängen, lohnt sich die Mühe, versuchsweise in die Zukunft zu denken. Wie wird sich das Ziel unseres Spotts wohl in zehn Jahren darstellen? Das wissen wir nicht? Genau, niemand weiß das. Deshalb ist Zurückhaltung eine so gute Entscheidung.