„Es war nicht mehr auszuhalten“

VN / 22.06.2025 • 15:03 Uhr
In der Pizzeria Antonio in Bludenz ist Afrim Pllanas seit vielen Jahren beschäftigt. HRJ
In der Pizzeria Antonio in Bludenz ist Afrim Pllanas seit vielen Jahren beschäftigt. HRJ

Afrim Pllana lebte im Untergrund, weil er nicht gegen seine Landsleute gekämpft hat.

BLUDENZ „Heimat ist dort, wo ich meine ersten Schritte machte. Aber hier habe ich mich von Anfang an daheim gefühlt.“ Seine ersten Schritte machte der Wahlbludenzer Afrim Pllana in einem kleinen Dorf bei Vushtrria, einer Stadt im Norden des Kosovo. 1971 geboren, wuchs Afrim mit zwei Schwestern und drei Brüdern auf. Zu jener Zeit war der Kosovo noch eine autonome Provinz Jugoslawiens, in der es nach dem Tod des Staatspräsidenten Josip Broz Tito – er starb am 4. Mai 1980 – gewaltig zu brodeln begann.

Krieg in Slowenien

Als der Balkankrieg ausbrach, war Afrim 20 Jahre alt und absolvierte gerade den Wehrdienst in der Jugoslawischen Volksarmee (JNA), in einer Kaserne in der slowenischen Stadt Ptuj. Am 25. Juni 1991 erklärte Slowenien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien, Kroatien tat dies am selben Tag. Dort blieb es vorerst noch ruhig, während sich in Slowenien JNA und Slowenische Territorialverteidigung heftige Gefechte lieferten. Der Krieg in Slowenien war nach zehn Tagen beendet, aber der Zerfall Jugoslawiens nahm seinen Lauf.

„Es war nicht mehr auszuhalten“: Die Mahlzeiten, die man in der Pizzeria Antonio für bedürftige Menschen spenden kann, bereitet Afrim zu. HRJ
Die Mahlzeiten, die man in der Pizzeria Antonio für bedürftige Menschen spenden kann, bereitet Afrim zu. HRJ

„Milizverbände haben in ganz Slowenien Barrikaden aufgestellt“, erinnert sich Afrim an den Kriegsbeginn. „Wir saßen in der Kaserne fest. Hatten nichts zu essen, keine Zigaretten. Wir konnten uns auch nicht verteidigen, weil wir keine Waffen hatten.“ Davon abgesehen wollte er überhaupt nicht kämpfen. „Erst recht nicht gegen meine Landsleute. Damals waren wir alle Jugoslawen.“ Der Stress damals, sagt Afrim, war unerträglich. Er wollte nur weg von dort. Möglichst schnell.

„Es war nicht mehr auszuhalten“: Afrims Tochter Vanessa arbeitet auch in der Pizzeria mit. Sie ist im Service tätig. HRJ
Afrims Tochter Vanessa arbeitet auch in der Pizzeria mit. Sie ist im Service tätig. HRJ

Es gelang ihm schließlich, mit drei anderen Kosovo-Albanern Slowenien per Auto zu verlassen. Die vier Männer rasten auf der Autobahn durch Kroatien und Serbien in Richtung Kosovo: „Wir hatten große Angst, dass uns Soldaten kontrollieren und festnehmen oder gar töten würden. Doch wir hatten Glück. Wir schafften es, ohne angehalten zu werden, bis Vushtrria durchzufahren.“ Das waren mehr als 800 Kilometer.

„Es war nicht mehr auszuhalten“: Afrim mit Cousin Avni. Die Beiden sind auch Geschäftspartner und beste Freunde. HRJ
Afrim mit Cousin Avni. Die Beiden sind auch Geschäftspartner und beste Freunde. HRJ

Daheim in seinem Dorf versteckte sich Afrim bei seiner Schwester. „Ich durfte das Haus nicht verlassen. Ich galt ja als Deserteur.“ Das Leben im Untergrund war mit der Zeit nicht mehr auszuhalten. Afrim wurde klar, im Kosovo konnte er nicht bleiben. Er ließ die Heimat hinter sich, ging nach Deutschland, lebte dort als Konventionsflüchtling. Zuerst in Ulm, dann in Ravensburg.

Krieg im Kosovo

Im Februar 1998 begann der Krieg im Kosovo. Afrim war es nicht möglich, von Deutschland aus Kontakt zu seinen Angehörigen in seinem Dorf aufzunehmen. „Ich hatte Angst um sie, dachte Tag und Nacht daran, wie es ihnen geht“, blickt er zurück. Im Juni 1999 war der Krieg vorbei, und Afrim konnte endlich seine Familie sehen. „Ich war so erleichtert! Alle haben überlebt.“ Jedoch sein Dorf erkannte er nicht wieder. Es war zerstört.

„Es war nicht mehr auszuhalten“: Die Küche des Gastbetriebes ist Afrim Pllanas Reich. Kochen hat er in Deutschland gelernt. HRJ
Die Küche des Gastbetriebes ist Afrim Pllanas Reich. Kochen hat er in Deutschland gelernt. HRJ

Während Afrim in Deutschland lebte, reiste er oft nach Vorarlberg, um seinen Cousin Avni zu besuchen, der damals in Dalaas eine Pizzeria führte. „Avni bot mir an, mit ihm zu arbeiten“, erzählt Afrim. 2005 nahm er das Angebot an und zog nach Vorarlberg: „Aber nur, weil meine Frau Carola mitgekommen ist.“ Er und Carola, sie ist Deutsche, sind seit 2001 verheiratet. Kurz nach der Ankunft in Vorarlberg kam Tochter Vanessa zur Welt. „20 Jahre ist das nun her“, sinniert er. „So lange bin ich schon hier.“

„Es war nicht mehr auszuhalten“: Küchenchef Afrim auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in der Pizzeria. HRJ
Küchenchef Afrim auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in der Pizzeria. HRJ

Längst betreibt Cousin Avni die Pizzeria Antonio in Bludenz. Afrim ist sein Geschäftspartner und Küchenchef. Zum Koch ließ er sich übrigens in Deutschland ausbilden. In seinem Herkunftsland hatte er den Beruf des Fliesenlegers erlernt.

Heimweh, Afrim? „Nein. Ich bin hier mehr zuhause als dort.“