Kommentar: Schön … wow!
Wir haben uns lange unterhalten, Frau Ammann und ich, über diesen öffentlich gemachten Suizid-Entschluss von Niki Glattauer, dem bekannten Schriftsteller, Journalisten und Lehrer, über seine gefestigte Entscheidungskraft und die innere Ruhe, die ihn ermächtigte am selbst gewählten Todestermin am 4. September (früher Vormittag – „ich wollte nicht den ganzen Tag drauf warten müssen“) aus dem Leben zu scheiden. „Begleiteter Suizid“.
Wir haben sein letztes öffentliches Interview auf YouTube verfolgt, wie paralysiert vom Bild und der Ausstrahlung eines aufgeweckten Mannes, der scheinbar strotzt vor Lebenskraft, Engagement und Selbstreflexion, wissend, dass ihn eine hinterfotzige Krankheit, (Gallengangkrebs) in naher Zukunft aus dem Leben reißen wird.
Äußerlich keine Anzeichen von Schwäche, keine eingefallenen Wangen oder fahle Haut, noch kein Gewichtsverlust oder andere Anzeichen, die ihn als Palliativpatienten ausweisen könnten, einer, dem man zutrauen würde den Kampf noch einmal aufzunehmen. Aber diesen „Kampf“ kannte er schon von etlichen seiner Verwandten, die auch an Krebs „elendiglich und würdelos gestorben waren.“ Er ist 66, hatte in seinen Berufen Karriere gemacht, „das Leben war gut zu mir“, sagt er gefasst -, „ich hab mein Konzert eh zu Ende gespielt, warum soll ich noch 17 Draufgaben machen?“. Die genetische Prädisposition schleppt die Familie als Rucksack hinter sich her.
Was man außen noch nicht sieht, ist innen schon am Brodeln. Die Fieberschübe steckt er weg, gegen die Bauchschmerzen nimmt er Medikamente, das Herz macht Probleme, die Hüfte funktioniert nicht mehr. Und doch ist weder Lethargie noch Selbstaufgabe zu spüren. „Nein ich habe keine Todessehnsucht, ich scheide ja nicht im Zorn, in Resignation oder innerer Immigration“, sagt er. Er spricht so lebensbejahend, mit markigen Gesten, als müsste er noch schnell seine Agenda durchbringen, die er uns zuruft zwischen Tür und Angel. „Wir waren ja schon mal tot“, sagt er, „und nach diesem Leben sind wir halt wieder tot, das ist nichts Schreckliches“. Natürlich heult er oft, erzählt er, alles, was jetzt kommt, ist Abschied nehmen. Alles zum letzten Mal, das tut am meisten weh. Die Kinder. Seine Exfrau ist in Thailand. Am Ende sollen nur seine zwei Kinder bei ihm sein.
Sterben in Würde, selbstbestimmt, das war sein Ziel und auch die Vermittlung an Leidensgenoss(inn)en, dass diese Möglichkeit existiert, gesetzlich geregelt. Das Gesetz ist sehr bedacht formuliert, denn „nicht jeder Todeswunsch ist dauerhaft. Viele entstehen in akuten Krisen oder als Ausdruck von Hilflosigkeit, weshalb auch Krisenhilfe und Suizid-Prävention als zentrale Bestandteile des Gesetzes installiert sind.“
Wie verstörend und berührend zugleich es ist, wenn ein Mensch sämtliche Türen öffnet und Einsicht gewährt auf die intimsten letzten Schritte, die wir alle gehen müssen.
Seine zwei letzten Worte vor der Ewigkeit verheißen Tröstliches: “Schön … wow!”
Aber was weiß man schon?