Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Kommentar: In einer fremden Welt

Politik / HEUTE • 11:36 Uhr

Katzen, Hunde, Prominente, die lustige Sprüche verbreiten oder komische Grimassen schneiden. Das sind jene Memes, also Bildinhalte im Internet, die viele von uns kennen. Doch Memes sind schon lange nicht mehr nur diese harmlosen Bilder, in manchen Subkulturen des Internets stehen sie für sich ständig verändernde Codes, die nur Eingeweihte verstehen; und sie tauchen immer öfter auch in Zusammenhang mit Gewalttaten auf. Aktuell deutet etwa einiges darauf hin, dass sich der 22-jährige aus Utah, der den rechten US-Aktivisten Charlie Kirk mutmaßlich erschossen hat, in der digitalen Welt radikalisiert hatte. So fand die Polizei einige vom Attentäter beschriftete Patronenhülsen mit Anspielungen auf Memes oder Social-Media-Postings des jungen Mannes, die ihn in Kostümen zeigten, die an Memes angelehnt sind.

Ein Blick in eine fremde Welt, die den Durchschnittsnutzerinnen und -nutzern des Netzes sonst verschlossen bleibt. Die breite Öffentlichkeit wurde erst durch die international diskutierte britische Netflix-Serie „Adolescense“ für eine Frage sensibilisiert, der sich unsere Gesellschaft heute leider stellen muss: Warum werden heranwachsende Burschen, junge Männer zu Gewalttätern, zu Attentätern? „Adolescense“ erzählt die fiktive Geschichte des 13-jährigen Jamie Miller, der von der Liverpooler Polizei wegen Mordverdachts festgenommen wird. Und bald stellt sich heraus, dass der schüchterne Jamie tatsächlich seine Mitschülerin Katie erstochen hat.

Jugend ohne Halt

Die für Zusehende schmerzliche Erkundung des Falles analysiert eine Entwicklung des Burschen, die heute wohl viele Heranwachsende betreffen kann. Jamie und seine Freunde sind Außenseiter, sie sind nicht beliebt, sie fühlen sich von Mädchen abgewiesen. Ein Zustand, der durch die Social-Media-Plattformen ihr gesamtes Leben beeinträchtigt. Auch für sie spielen Codes eine Rolle, in Form der Emojis, mit denen sie und andere Jugendliche auf Instagram kommunizieren. Wir Erwachsene haben kaum Einblick die Lebenswelten der Jungen, die heute mit ganz anderen Einflüssen konfrontiert sind.

Wenn man Gewalttaten von jungen Männern nachvollziehen und dagegen angehen will, muss man die Radikalisierungsmechanismen im Netz ernst nehmen. Und verstehen, dass sich in bestimmten Online-Gruppierungen eben auch eine extremistische Bewegung formiert, die sich aus Fatalismus und Nihilismus nährt. Hier hat nichts Bedeutung, alles ist ein Witz. Die fatale Mischung aus gefährlichen Männlichkeitsbildern und Gewalt zielt auf die Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung ab. Wir können diese Bestrebungen nur mit Aufklärung, Prävention und Interesse für jene junge Menschen bekämpfen, die in eine andere Welt abzugleiten drohen.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.