Sehbehinderte und blinde Frauen ertasten Brustkrebs – bald auch in Vorarlberg

Im Beruf der Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU) verwandelt sich eine Behinderung in eine Begabung.
Darum geht’s:
- MTU nutzen Tastsinn zur Brustkrebsfrüherkennung.
- Zwei MTU in Österreich und bald eine zusätzliche in Vorarlberg
- MTU Sylwia Pietr aktuell für Untersuchungen und Schulungen in Dornbirn im Einsatz
Von Katja Grundner
Dornbirn Bei Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU) wird eine Einschränkung zur Stärke. Dabei handelt es sich um speziell ausgebildete sehbehinderte oder blinde Frauen, deren hoch entwickelter Tastsinn zur Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt wird. Derzeit gibt es zwei MTU in Österreich. Eine davon ist die Wienerin Sylwia Pietr von discovering hands Österreich, die im Rahmen des FHV-Forschungsprojekts MammAware für mehrere Tage nach Dornbirn gekommen ist. Hier führt sie individuelle Taktile Brustuntersuchungen (TBU) und Gruppenschulungen zur Selbstuntersuchung durch. Das Forschungsprojekt finanziert außerdem die MTU-Ausbildung einer Person, die zukünftig in Deutschland und Vorarlberg tätig sein soll.

Das Forschungsprojekt MammAware wird von einem siebenköpfigen Team aus Experten und Entwicklern des Forschungszentrums Human-Centred Technologies an der FHV durchgeführt. Projektpartner sind die Krebshilfe Vorarlberg, discovering hands, das Brustzentrum Bodensee und Kabatec.
Mehr Lebensqualität
Der deutsche Gynäkologe Dr. Frank Hoffmann kam vor knapp zwanzig Jahren auf die Idee, die Fähigkeit zur feinen Wahrnehmung gewisser sehbehinderter und blinder Frauen zur Brustkrebsfrüherkennung zu nutzen. „Nicht alle sind für den Beruf als MTU geeignet, denn nicht jede sehbehinderte oder blinde Frau hat automatisch einen guten Tastsinn“, erklärt Sylwia Pietr, die aufgrund einer Erbkrankheit sehbehindert ist. Für die Zulassung zur Ausbildung musste sie drei Tage lang unterschiedliche Tests durchlaufen. Seit knapp zehn Jahren ist sie MTU und seit einigen Jahren Ausbildnerin.

„Bevor ich MTU wurde, war das Leben sehr schwer, ich musste mich durchkämpfen“, verrät die 46-jährige Wienerin. Denn blinden oder sehbehinderten Frauen stehen nur wenig berufliche Möglichkeiten offen – meist als Masseurin oder im Büro mit spezieller Ausrüstung.

Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs hat discovering hands Österreich in ihren spendenfinanzierten Verein eingegliedert. Die MTU haben ihren Hauptsitz mit einem Behandlungsraum in Wien und Außenstellen in Linz und Graz. Buchungen erfolgen sowohl durch Privatpersonen als auch durch Unternehmen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Instagram angezeigt.
MTU in Vorarlberg
Sylwia Pietr ist nun bis Freitag vier Tage lang an der FHV in Dornbirn, wo sie einzelne TBU durchführt. Außerdem hält sie gemeinsam mit der Leiterin von discovering hands Österreich, Claudia Haarer, Gruppenschulungen zur Selbstuntersuchung ab. „Die Plätze waren schnell ausgebucht“, sagt der Projektleiter des FHV-Forschungsprojekts Hubert Roland Jocham (63). Während die Früherkennungsuntersuchung der MTU normalerweise aus eigener Tasche bezahlt werden müssen, werden die Kosten für die Tage an der FHV von dem mit 500.000 Euro geförderten EU-Forschungsprojekts übernommen. Außerdem zahlt es die MTU-Ausbildung für eine Person. „Die Suche in Vorarlberg nach einer interessierten oder geeigneten Frau war leider erfolglos“, teilt Jocham mit. Die Auszubildende kommt aus Deutschland, wird im November über das Brustzentrum Friedrichshafen die einjährige Ausbildung beginnen und soll danach auch in Vorarlberg arbeiten.

Zahlen und Fakten:
- Eine Früherkennungsuntersuchung durch MTU dauert im Schnitt 45 Minuten, abhängig von Faktoren wie Brustgröße und Gewebebeschaffenheit.
- MTU können kleinste Knoten ab einem Durchmesser von sechs Millimetern ertasten. Gynäkologen erkennen Verhärtungen ab etwa zehn Millimetern, ungeschulte Personen bei der Selbstuntersuchung meist erst ab 25 Millimetern. Teilweise können MTU Auffälligkeiten ertasten, die bei der Mammografie nicht zu erkennen wären. Dennoch gilt die Taktile Brustuntersuchung lediglich als Ergänzung zu Ultraschall und Mammografie. MTU stellen keine Diagnose, sondern erstellen eine Befundgrafik für weiterbehandelnde Ärzte.
- Auch Männer können an Brustkrebs erkranken – sie machen jedoch nur etwa ein Prozent der Fälle aus.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
(VN)