“So wurden wir Kriegsflüchtlinge”

VN / 07.11.2025 • 15:15 Uhr
Ubbo von König erzählt, wie er als Kind das Kriegsende erlebt hat. HRJ
Ubbo von König erzählt, wie er als Kind das Kriegsende erlebt hat. HRJ

Ubbo von König erinnert sich an die Zeit, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging.

Höchst Lange konnte er es verdrängen. Jetzt ist alles wieder in seinem Kopf. Das Dröhnen der Tiefflieger. Der Soldat, der sich im Luftschutzkeller erschießt. Der Geruch von Blut und Hirnmasse. Die Flucht. Auch wenn es Ubbo von König nicht leichtfällt, blickt er heute zurück auf die Zeit am Ende des Zweiten Weltkriegs. Er war sechs Jahre alt.

Der Krieg war noch nicht ausgebrochen, als Ubbo von König am 18. Juni 1939 in Wien zur Welt kam. Er wuchs in der niederösterreichischen Kleinstadt Gloggnitz auf. Die Familie lebte in einem Haus, in dem sich die vom Vater, einem Bildhauer, geleitete Schnitzschule befand.

Das Ehepaar Von König engagiert sich im Lustenauer „Linedance-Club Route 66“.  Gerda ist Linedance-Trainerin, Ubbo ist für die Musik zuständig. HRJ
Das Ehepaar von König engagiert sich im Lustenauer “Linedance-Club Route 66”. Gerda ist Linedance-Trainerin, Ubbo ist für die Musik zuständig. HRJ

Im April 1945 wurde Gloggnitz von den Sowjets besetzt. Der Vater war irgendwo an der Front. Eines Morgens standen sowjetische Soldaten vor der Tür. “Sie gaben uns 20 Minuten Zeit, um zu gehen”, sagt Ubbo. “So wurden wir Kriegsflüchtlinge.” Die Mutter, die drei Kinder und Thea, die Schwester der Mutter, machten sich auf den Weg nach Ebensee in Oberösterreich, kamen dort bei Bekannten unter. In dieser Ortschaft gab es ein Außenlager des KZ Mauthausen. Dessen Häftlinge schufteten unter unmenschlichen Bedingungen in den Stollenanlagen, in denen Raketen produziert wurden. Bis zur Befreiung am 6. Mai 1945 durch die US-Armee wurde Ebensee aus der Luft angegriffen. “Wir suchten jeden Tag den Luftschutzraum im Keller auf”, erinnert sich Ubbo. Ein Ereignis traumatisierte den damals Sechsjährigen besonders: “Da saß ein junger Wehrmachtssoldat bei uns. Plötzlich zog er seine Pistole und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Blut und Hirnmasse klebten an der Kellerwand.”

Auf das Familienwappen ist Ubbo ein bisschen stolz. Das ‚von‘ ist übrigens kein Adelstitel, sondern Teil des Namens. HRJ
Auf das Familienwappen ist Ubbo ein bisschen stolz. Das ‚von‘ ist übrigens kein Adelstitel, sondern Teil des Namens. HRJ

Anfang Mai 1945 zog die Familie weiter nach Tirol. Aufnahme fand sie in einem Almgasthof in Hopfgarten. “Von den französischen Besatzungssoldaten waren viele Marokkaner”, erzählt Ubbo. “Einmal versuchte eine Gruppe, den Almgasthof zu plündern. Die Wirtin, nicht dumm, lud die Marokkaner in den Keller zum Weintrinken ein. Mich schickte sie zur nächsten Almhütte, um Hilfe zu holen.” Dann rückten sie an, die Tiroler Bauern. Mit Mistgabeln bewaffnet, vertrieben sie die bereits betrunkenen Soldaten.

Irgendwann kehrte der Vater heim. Die Familie zog für kurze Zeit nach Kramsach, dann weiter nach Piesendorf im Pinzgau: “Die amerikanischen Besatzer waren freundlich zu uns, schenkten uns Schokolade. In Piesendorf wuchs meine Affinität zu den USA.”

In Vorarlberg lebt Ubbo seit mehr als vier Jahrzehnten. Der gelernte Steinmetz wurde 1979, als das Landhaus in Bregenz gebaut wurde, als Verbindungsmann der am Bau involvierten Steinmetzbetriebe engagiert. Die nächsten beruflichen Stationen waren ein Marmorwerk in Hard und ein Steinmetzbetrieb in der Schweiz. 52-jährig wollte er wieder in Vorarlberg arbeiten, bekam aber keinen Job. “Meine Bandscheiben waren kaputt.” Ubbo wurde Arbeitsunfähigkeitspensionist.

Über 1000 CDs, hauptsächlich mit Country-Musik, hat Ubbo von König gesammelt. HRJ
Über 1000 CDs, hauptsächlich mit Country-Musik, hat Ubbo von König gesammelt. HRJ

Der Niederösterreicherin Gerda begegnete er erstmals im Jänner 1981 in einem Bregenzer Lokal. Gerda, geschieden und Mutter von drei Kindern, und Ubbo, geschieden und Vater von zwei Kindern, entschieden: “Hauma uns zam auf a Packl.” Die Trauung war ein halbes Jahr später, im Juli 1981.

Seit zehn Jahren wohnt das Ehepaar in einem Mehrparteienhaus in Höchst. Mit Gerda lebt Ubbo seine Leidenschaft für Country-Musik aus. Mit ihr, der Line-Dance-Trainerin, engagiert er sich im Lustenauer “Linedance-Club Route 66”. Als “DJ Silberlocke” ist er für die Musik zuständig.

Wünsche? Ja, zwei hat er: “Schmerzfrei sein, das wäre schön. Und dass meine neue Herzklappe, die mir im vergangenen Jahr eingesetzt wurde, noch lange hält.”

Seit zehn Jahren wohnt Ubbo von König in einem Mehrparteienhaus in Höchst. HRJ
Seit zehn Jahren wohnt Ubbo von König in einem Mehrparteienhaus in Höchst. HRJ