VN-Serie zum Advent – Aufbruch ins Unverfügbare

VN / 29.11.2025 • 09:29 Uhr
Auch in seinen Ikonen entdeckt Blum Geschichten des Vertrauens in Gottes bedingungslose Liebe. Jede einzelne ist ein Wegbegleiter durch den Advent.
Auch in seinen Ikonen entdeckt Blum Geschichten des Vertrauens in Gottes bedingungslose Liebe. Jede einzelne ist ein Wegbegleiter durch den Advent.Thomas Matt

Wilfried Blum: Ein adventlicher Blick auf Wagnis, Flucht, Sterben und die Liebe ohne Warum

Bregenz Der Advent führt in vier Wochen zum Weihnachtsfest. Heute brechen wir auf. Der erste Schritt kann lustvoll sein, mit einem Hauch von Zimt am Gaumen. Doch die vermeintlich stillste Zeit im Jahr kann auch schrill werden. Nicht zufällig haben der Advent und das Abenteuer im lateinischen Wort „adventus“ dieselbe Wurzel. Manchen nötigt der erste Schritt jedes Jahr Mut ab.

Wilfried Blum kennt die Hochschaubahn der Gefühle. Als Student kümmerte er sich im Internat am Jagdberg um Kinder und Jugendliche. Ende der 1970er Jahren bot der junge Kaplan in Götzis Fremden in seinem Haus Obdach. „Das war schon ein Wagnis“, erinnert er sich: „Du weißt ja nie, räumt er Dich jetzt aus?“ Doch Blum machte „nur gute Erfahrungen“. Er setzte Vertrauen in die Leute. Heute begleitet der Caritasseelsorger Geflüchtete und Sterbende im Hospiz am See.

Frage des Vertrauens

Immer wieder hat er ein Zirkusbild vor Augen: Zwei Akrobaten in schwindelnder Höhe über der Manege. Das Publikum reckt die Hälse. Der Fänger schwingt kopfüber mit angewinkelten Beinen am Trapez. Der Flieger steht auf seiner Plattform gegenüber. Er hält seine Trapezstange in der Hand und wartet. Dann stößt er sich ab. Für ein paar Sekunden schwingen beide im Gleichklang. Der Flieger lässt los du schlägt einen Salto. Das Publikum hält den Atem an. Er streckt die Arme aus. Der Fänger greift zu, und hat ihn. Erleichterung, Applaus.

„Wenn der Flieger loslässt, muss er sich darauf verlassen, dass ihn der andere fängt“, sagt Wilfried Blum. Er muss ihm vertrauen. Bei Menschen, die so durch das Leben gehen, spricht man von Urvertrauen, „mit dem leider nicht alle beschenkt sind“. Das lernte der Theologiestudent am Jagdberg. „Ich habe die Biografien gelesen der Sechs- bis 14-Jährigen gelesen. Die meisten hatten kein Daheim, das sie aufgefangen hätte.“ Seither weiß Blum. „Geliebt aufzuwachsen, ist alles andere als selbstverständlich.“ Wie unberechenbar die Jugendlichen von einem Tag auf den anderen reagierten, machte ihm zu schaffen. „Vor allem, weil ich immer alles so gerne geregelt habe“, sagt er schmunzelnd. Doch er blieb. Aus dem Sommerpraktikum heraus wirkte Wilfried Blum fast 40 Jahre lang seelsorglich am Jagdberg, „ganz ohne kirchlichen Auftrag“.

Zahlen statt Menschen

Es gibt Situationen, vor denen man nicht davonlaufen kann. In hunderten Gesprächen mit Asylsuchenden hörte er haarsträubende Fluchtgeschichten. Deshalb macht es Blum so wütend, „wenn man in der Asyldebatte von Zahlen spricht, statt von Menschen. Oder wenn wir ihnen das Handy neidig sind, dabei ist das die einzige Möglichkeit, um in Verbindung zu bleiben mit denen, die sie zurücklassen mussten.“ Niemand mag ermessen, wir schwer ihnen der erste Schritt zur Flucht gefallen sein mag.

Ebensoo wenig können wir erahnen, was es bedeutet, wenn ein Mensch sich in sein Sterben fügt. Wilfried Blum begleitet im Hospiz am See liebevoll betreute Menschen auf ihrem letzten Weg, gemeinsam mit Seelsorgerin Renate Stadelmann spricht er Trauernden Mut zu. Er begegnet Gästen und ihren Angehörigen, die am Ende eines unversöhnten Lebens noch einen Schritt aufeinander zugehen, aber auch solchen, denen das verwehrt bleibt. Ärzt:innen und Pflegepersonal, Seelsorge und Ehrenamtliche dienen tagtäglich an der Pforte zum größten Abenteuer der menschlichen Existenz, dem Tod.

Und alle fragen sich, was uns auch die Vorstellung des Advents als Weg aufgibt: Wem gehen wir entgegen? Da antwortet Blum mit einem Satz, der wie ein Programm über einem ganzen Menschenleben stehen könnte: „Gott liebt ohne Warum. Zu diesem Gott gehen wir.“