Betroffene sollen Mitsprache haben – neue Psychiatrie- und Suchtstrategie

Durch die Miteinbeziehung von Betroffenen und Angehörigen soll ein positiver Druck auf das Land entstehen.
Darum geht’s:
- Vorarlberg berücksichtigt Anliegen Betroffener in Psychiatrie- und Suchtstrategie.
- Einführung von „Home-Treatment“ als stationsersetzender Ansatz geplant.
- 42 Maßnahmen, darunter neue Krisenhotline.
Von Katja Grundner
Bregenz Ein besserer Übergang vom Krankenhaus zum Leben draußen und mehr Mitsprache der Betroffenen verspricht die neue Psychiatrie- und Suchtstrategie des Landes Vorarlberg in den kommenden zehn Jahren. „Da die Betroffenen und Angehörigen in den Prozess einbezogen worden sind, werden sie auch darauf achten, dass die Strategien umgesetzt werden. Es entsteht dadurch ein positiver Druck auf das Land“, meint Gemeindepsychiater Raoul Borbé aus Ravensburg am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz. Der Experte hat als externer Berater bei der Strategieplanung mitgewirkt.

Wünsche der Betroffenen
In den letzten eineinhalb Jahren wurde am neuen Psychiatrie- und Suchtstrategieplan 2025 bis 2035 gearbeitet. Daran waren mehr als 100 Experten aus den unterschiedlichsten Fachgebieten beteiligt. Aber auch Betroffene und Angehörige wurden aktiv einbezogen. Der Prozess basiert auf einem trialogischen Verständnis, das die Sichtweisen von Fachleuten, Angehörigen und Betroffenen zusammenführt.
In dem Prozess hat sich herauskristallisiert, dass sich Betroffene wünschen, Einfluss auf Behandlungsstrukturen nehmen zu können. Dies will das Land durch eine strukturelle Beteiligung im Sinne einer besseren Kommunikationsbasis ermöglichen. Außerdem möchten Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen nicht nur durch Fachpersonen begleitet werden, sondern auch durch sogenannte Genesungsbegleiter – Menschen, die selbst einmal betroffen waren und die Lage dadurch auf andere Art und Weise nachvollziehen können.

Ein weiterer Punkt seitens der Betroffenen ist, dass der Übergang von der Psychiatrie in die eigenen vier Wände zu abrupt erfolgt. Das Land will diesen Umstand unter anderem durch eine bessere Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung verbessern. Zusätzlich soll eine aufsuchende Akutbehandlung – ein sogenanntes „Home-Treatment“ – eingeführt werden. Dabei sollen gewisse Patienten durch Fachkräfte wie Ärzte und psychiatrische Krankenpfleger zu Hause aufgesucht und dort behandelt werden. Dieser stationsersetzende Ansatz folgt dem allgemeinen Trend im Gesundheitswesen in Richtung Ambulantisierung.
Umsetzung der Maßnahmen
In der neuen Psychiatrie- und Suchtstrategie sind insgesamt 42 konkrete Maßnahmen geplant, zum Beispiel die Einrichtung einer neuen Krisenhotline in Vorarlberg und die Stärkung der Angehörigenrolle in der Betreuung und Versorgung. Ein übergeordnetes Ziel ist die Einführung einheitlicher Qualitätsstandards für Psychiatrie und Suchthilfe. Völlig neu ist, dass Psychiatrie und Suchterkrankungen nun in einer gemeinsamen Strategie gedacht werden – schließlich lassen sie sich in der Praxis oft kaum trennen.

Für keine der geplanten Maßnahmen gibt es bis jetzt ein Enddatum. „Die kann man nicht auf einmal umsetzen, das wird sukzessive in den nächsten zehn Jahren geschehen“, erklärt Raoul Borbé. Beim vergangenen Vorarlberger Psychiatriekonzept 2015 bis 2025 wurden einige geplante Maßnahmen nicht realisiert. „Die aktuellen Strategien sind eine Optimierung auf hohem Niveau, auch im Vergleich mit Deutschland. Wenn 70 oder 80 Prozent der Ideen umgesetzt werden, gilt das schon als großer Erfolg“, meint der Experte.
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Während einige Schritte durch effizientere Ressourcennutzung Einsparungen ermöglichen sollen, benötigen andere Umstrukturierungen zusätzliche Mittel. Am Ende wird es daher sowohl Ausbau als auch Umbau geben, sodass die Umsetzung im bestehenden Budgetrahmen erfolgen kann.
Zahlen und Fakten:
- Laut Studien leiden rund 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Österreich an einer psychischen Erkrankung.
- Bei den jungen Menschen in Österreich ist aktuell jeder Vierte von einer psychischen Erkrankung betroffen.
- Seit 2017 ist die Nachfrage nach Beratung, Betreuung und Behandlung in Vorarlberg um 45 Prozent gestiegen.
- Das Land investiere rund 36 Millionen Euro im Jahr in die Sozialpsychiatrie.

(VN)