Streiflicht: Wird es ein gutes Jahr?
Die Kinder verfolgten jede Bewegung. Atemlos sahen sie zu, wie eine Hand die verrußte Pfanne über die Kerzenflamme hielt. Darin stand ein Schweinchen aus Blei. Es hielt ein vierblättriges Kleeblatt im Maul und schien ihnen zuzuzwinkern. Doch nur kurz: Plötzlich zerrannen seine Beine und der massige Körper sank hinterdrein. Unter den „Ahs“ und Ohs“ der fröhlichen Mitternachtsgesellschaft schmolz das Blei zu einem glänzenden See, den eine geschickte Handbewegung ins zischende Wasser kippte.
Nun folgte der eigentliche Spaß: Jeder deutete die bizarren Metallklumpen. Sieht das wie ein Hammer aus? Dann heißt das: „Dein Wille versetzt Berge.“ Oder doch eher wie ein Insekt? „Dein Fleiß bringt Dich voran.“ Nein, das ähnelt einem Fisch! „Na, dann wird Dir ein großer Fisch ins Netz gehen!“ Wem es an Fantasie gebrach, der las die Deutungen aus Listen, die den Bleipackungen beilagen. Manche klangen sonderbar, andere etwas anzüglich, aber keine war negativ. Das Bleigießen zu Silvester gab verlässlich den Blick frei auf ein buntes, aufregendes neues Jahr.
Und 2026? Wird es ein gutes Jahr? Werden wir auch seine Aussicht einem bleiernen Glücksschwein anvertrauen? Oder doch lieber nach Worten suchen, die Nähe schaffen, weil Beziehung das Tragfähigste ist, was wir unsicheren Zeiten entgegensetzen können? Es gibt schließlich nicht nur die Banalität des Bösen, sondern auch die Banalität des Guten. Es fängt mit einem Lächeln an. Und Nähe stiftet Zuversicht – stärker Blei.
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