Getarnte Gesamtschule

Vorarlberg / 24.01.2014 • 19:36 Uhr
Lena kann’s. Die junge Andelsbucherin ist am Klavier ein Ass. Fotos: VN/Steurer
Lena kann’s. Die junge Andelsbucherin ist am Klavier ein Ass. Fotos: VN/Steurer

Wie die Hauptschule Lingenau dem Mainstream trotzt und ­dennoch erfolgreich ist.

Lingenau. Im Bregenzerwald, so sagen Schulexperten unterschiedlichster Grundhaltungen, gibt es die Gesamtschule schon längst. Nicht, dass sie dort jemand irgendwann eingeführt hätte. Es gibt sie einfach nur deswegen, weil in der ganzen Talschaft keine AHS-Langform existiert, und weil daher eben (fast) alle Zehn- bis 14-Jährigen in eine gemeinsame Schule müssen.

„Wyatt Herb“

Dieser Erkenntnis verschließt sich selbst Herbert Bereuter (62), Schulleiter der Musikhauptschule Lingenau, nicht. Der großgewachsene schlanke Mann mit der weißen Haartracht und dem Schnurrbart sitzt in seinem Büro. Am Tisch lehnt ein riesiges Bild. Darauf zu sehen ist ein Revolverheld mit dem hineinretouchierten Gesicht Bereuters. Das Bild trägt den Titel: „Sheriff Wyatt Herb“. Das Geschenk einer Abschlussklasse. Die Kämpferqualitäten der legendären Western-Figur brauchte der Schulmann in den letzten Jahren tatsächlich – im Widerstand gegen die eifrigen Reformer des Landes. „Wyatt Herb“ zog schließlich schneller als die Gegner. Er ließ seine Schule nicht zu einer Mittelschule umfunktionieren, sondern erhielt sie als Hauptschule. „Mit Leistungsgruppen in den Hauptfächern“, wie er fast trotzig ergänzt. Bereuter lässt Zahlen sprechen – Zahlen, die wohl jeder anderen Schule, egal wie sie sich nennt, zur Ehre gereichten. „Von den 61 Abgängern der Abschlussklassen des Vorjahres haben bei uns 34 Jugendliche Aufnahme in eine Höhere Schule gefunden, einige von ihnen sind in einer Berufsbildenden mittleren Schule gelandet.“

Begehrte Schüler

Stolz berichtet Bereuter von den Anrufen diverser Lehrherren großer produzierender Betriebe Vorarlbergs. „Die sind daran interessiert, Schüler von uns als Lehrlinge zu bekommen. Und das, obwohl die meisten von ihnen noch das neunte Schuljahr zu absolvieren haben.“ In letzter Zeit hätte davon auch der Werkraum Bregenzerwald Wind bekommen. „Die fragen jetzt auch bei uns an und wollen unsere Schüler nicht kampflos ins Land hinaus ziehen lassen.“ An anderen Hauptschulen oder Mittelschulen des Bregenzerwaldes sei es wahrscheinlich nicht anders, glaubt Bereuter. Warum sind die Wälder Sekundarschüler besser und gefragter als andere? Die Erklärungsversuche des Direktors: „Vielleicht auch darum, weil viele Kinder im Bregenzerwald noch wissen, was Höflichkeit und Respekt sind. Wir haben gewiss weniger soziale Probleme und auch weniger Migrantenkinder als in anderen Teilen Vorarlbergs. Das wirkt sich sicher aus.“

Kein System-Jünger

Bereuter glaubt nicht an den Erfolg von Systemen. Viel mehr glaubt er an den Erfolg durch gute Lehrer. „Egal, wo die unterrichten.“ Dass leistungsstärkere und leistungsschwächere Schüler an den Bregenzerwälder „Gesamtschulen ohne Etikett“ trotz Leistungsgruppen aufeinandertreffen, sei der Entwicklung natürlich auch nicht abträglich. „Ich habe in meiner Laufbahn als Schüler und Lehrer vier Systemwechsel durchgemacht. Das hat alles nichts gebracht. Einem Wechsel von der Hauptschule zur Neuen Mittelschule habe ich mich gemeinsam mit der Schulgemeinschaft widersetzt.“ 19 Jahre ist der gelernte Mathematik-Lehrer bereits Direktor an der Musikhauptschule. Es habe sich in dieser Zeit vieles verändert. „Aber gewisse Dinge sind bei uns doch auch gleich geblieben.“

Lenas Auftritt

Dass es sich dabei um gute Dinge handelt, wird bei einem Rundgang durch die vor einigen Jahren sanierte Schule deutlich. Da geben Schüler noch wohlerzogen Antworten auf Hochdeutsch. Grüßen ist selbstverständlich. Und fragt man einige der Kinder über ihre Beziehung zur Bildungsstätte, bekommt man zum Teil euphorische Antworten. „Wir haben es so toll hier“, lacht Viertklässlerin Lena. „Ich spiele Klavier und Kontrabass. Und singen tu’ ich auch. Wir machen so vieles gemeinsam.“ Gerne zeigt uns die fröhliche Andelsbucherin, was sie kann. Im Konzertraum setzt sie sich an den Flügel und lässt ihre Finger über die Tasten fliegen. Eine anspruchsvolle klassische Melodie ist das Produkt. Ihre Mitschülerinnen lauschen andächtig. „Ist das nicht gut?“, fragt Direktor Herbert Bereuter.

Ja, das ist wirklich gut.

„Sheriff Wyatt Herb“ alias Direktor Herbert Bereuter.
„Sheriff Wyatt Herb“ alias Direktor Herbert Bereuter.
Lena kann‘s. Die junge Andelsbucherin ist am Klavier ein As. Fotos: VN/Steurer
Lena kann‘s. Die junge Andelsbucherin ist am Klavier ein As. Fotos: VN/Steurer
„Sheriff Wyatt Herb“ alias Direktor Herbert Bereuter.
„Sheriff Wyatt Herb“ alias Direktor Herbert Bereuter.