“Bitte keine Modellversuche”

Vorarlberg / 12.09.2014 • 22:03 Uhr
Hopmann: „Einzig Bildung kann sicher vererbt werden.“ foto: Shourot
Hopmann: „Einzig Bildung kann sicher vererbt werden.“ foto: Shourot

Bildung wird im Wahlkampf heiß diskutiert. Stefan Hopmann analysiert die Thematik.

SCHWARZACH. In einem Punkt sind sich alle Parteien einig: Bildung ist wichtig. Aber wie? Ganztagschule, Gesamtschule, Deutschprüfungen? Für den Bildungsexperten Stefan Hopmann gehen die Diskussionen am eigentlichen Thema vorbei.

Das Thema Sprachförderung genießt einen hohen Stellenwert. Zu Recht?

HOPMANN: Nein! Die Sprache ist nicht das Problem. Die Kinder kommen oft aus Umständen, wo kulturelle und soziale Ressourcen fehlen, um in der Schule insgesamt erfolgreich zu sein.

Also ein soziales Problem?

HOPMANN: Ja. Es braucht keine Deutschförderprogramme in Schulen, sondern insgesamt eine gezielte Förderung in jenen Bereichen, in denen die Kinder konkrete Probleme haben. Verpflichtende Deutschkurse vor Schuleintritt bringen gar nichts.

Die FPÖ will sogar jene Eltern sanktionieren, die nicht daran interessiert sind, dass ihre Kinder Deutsch lernen.

HOPMANN: Das ist absurd. Hier sind nur Kinder mit Migrationshintergrund gemeint. Alle Untersuchungen, die wir geführt haben, ergaben, dass diese Elterngruppe im Durchschnitt motivierter und engagierter ist und höhere Erwartungen an die Kinder hat als Einheimische. Sanktions-Drohungen sind dummer Populismus und direkt schädlich.

Ist Frühförderung im Kindergarten eine Option?

HOPMANN: Die Frage ist: Wo gibt es Kindergärten, in denen sich viele Kinder befinden, die eine besondere Förderung brauchen, diese zu Hause aber nicht bekommen? Sinnvoll wäre es, wenn jemand eingestellt wird, der für die spezifischen Probleme vor Ort ausgebildet wurde. Ein solcher Experte könnte seine Kollegen unterstützen.

Die Grünen fordern mehr Ressourcen für die Volksschule. Konkret wollen sie drei Lehrer für zwei Klassen.

Hopmann: Ich würde noch weitergehen. Wir müssen komplett weg von der „Ein- Lehrer-eine-Klasse“-Idee. Die Schulalltagsorganisation muss flexibler werden. Es sollen nicht einer Person 25 Kinderschicksale in die Hände gelegt werden.

Die ÖVP erwägt vor Volksschul-Eintritt ein Schulreife-Screening.

HOPMANN: Es gibt kein 100-prozentiges ScreeningVerfahren. Um den Umstieg in die Volksschule zu erleichtern, sollten Kindergärten und Schule eng zusammenarbeiten und über die neuen Schüler reden.

Und wer nicht weit genug ist, muss in die Vorschule?

HOPMANN: Erfahrungsgemäß bringt Sitzenbleiben oder Rückstellung nur etwas, wenn die Gründe nicht- schulischer Natur sind. Nach einer langen Krankheit zum Beispiel. Dazu müssen allerdings die Lebensumstände genau beleuchtet werden. Das geht nicht mit einem Screening.

Würde eine Ganztagsschule, wie sie alle Parteien fordern, nicht sowieso jeden Schüler fördern? Nachhilfeunterricht wäre hinfällig und alle hätten die gleichen Chancen?

HOPMANN: Das stimmt nicht. Im Gegenteil: In Ländern mit Ganztagsschulen sind die außerschulischen Aufwendungen um ein Vielfaches höher.

Wieso das?

HOPMANN: In Zeiten der Wirtschaftskrise ist Bildung das Einzige, das Eltern mit Sicherheit vererben können. Mittel- und Oberschicht sind heutzutage zu enormen Investitionen in die Bildung bereit, in manchen Ländern bis zur Hälfte des Einkommens. Gäbe es Gesamtschulen, würden diese Eltern denken: Jetzt verliert der kleine Ale­xander seinen Vorsprung, also müssen wir die Ausgaben und Aktivitäten verdoppeln. Umso höher der Turm, umso höher der Schatten.

Sind Sie gegen eine Ganztagsschule?

HOPMANN: Überhaupt nicht. Aber das Nachhilfe- und Hausaufgabenproblem wäre damit nicht abgeschafft. Die Nervosität der Mittel- und Oberklasse ist so groß, man kann sie höchstens mit vorgeladener Waffe an Nachhilfe hindern. Das ist in einer Demokratie Gott sei Dank nicht möglich.

Auch die Gesamtschule ist eine ständig diskutierte Idee.

HOPMANN: Es ist ein Irrtum, zu glauben, begabte Kinder würden dann automatisch mit weniger begabten in die Schule gehen. Jedes System verursacht Segregation. Ein Beispiel: Es wird ein musischer Zweig gebildet, mit der Bedingung, ein Kind muss zwei Instrumente spielen können. Wessen Kinder sind das? Wir reden übrigens immer von den Eltern, welche die Wahl haben.

Gesamtschule: Ja oder Nein?

HOPMANN: Beispiel Vorarlberg. Das Land ist überschaubar, die Problemzonen bekannt. Auf diese Orte würde ich mich konzentrieren. Der Rest kommt von alleine. Schweden zeigt: Irgendwann sind die Gesamtschulen so gut, dass die Gymnasial-Eltern ihre Kinder gerne hinschicken.

Ist die Diskussion zu ideologisch aufgeladen?

HOPMANN: Ideologisch klingt so negativ. Es ist legitim, Interessen zu haben. Das Schwierige sind die liebgewonnenen Schützengräben, zum Beispiel bei der gemeinsamen Schule. Eine Diplomandin hat herausgefunden, dass sich die Argumente seit den Zwanzigerjahren nicht verändert haben. Die hauen sich seit fast 100 Jahren dieselben Argumente um die Ohren, und die meisten sind empirisch einfach falsch. Auf beiden Seiten.

Jetzt läuft wieder ein Modellversuch . . .

HOPMANN: Bitte keine Modellregionen mehr. Alles, was diskutiert wird, wurde irgendwo schon versucht. Wir brauchen nicht wieder bei null anfangen.

Was schlagen Sie vor?

HOPMANN: Alle Schützengraben-Themen für zwei Jahre beiseitelegen und uns um Probleme kümmern, die wir lösen können. Wir brauchen keine 20-jährigen Schulversuche mehr, da kommt nie etwas raus. Einfach ganz konkrete Punkte in Angriff nehmen. Sie werden sehen, wir können viel.

Das Foto darf für redaktionelle und PR-Zwecke in sämtlichen Online- und Printmedien frei verwendet werden. Die Quellenangabe ist jedoch Voraussetzung und muss aus folgender Bildzeile bestehen: COPYRIGHT: NLK Filzwieser Die Nutzung für Plakate, Werbung bzw. Inserate bedarf einer gesonderten Vereinbarung!
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Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Stefan Hopmann

lehrt seit 2005 am Institut für Bildungswissenschaften der Uni Wien. Er studierte in Deutschland, habilitierte sich an der Uni Oslo und lehrte bis 2005 in Oslo und Trondheim.
Geboren: 14. Oktober 1954.
Foto: NLK/Filzwieser