“Brauchen vor allem Wertschätzung”

Schulforscher Schratz glaubt, dass der Bereich Bildung politisch außer Streit gehört.
Innsbruck. Starre Grundhaltungen mit Feindbildcharakter schaden der Entwicklung von Schule und Bildung enorm. Dieser Überzeugung ist der aus Feldkirch stammende Schul- und Bildungsforscher Michael Schratz. In unserem Bildungssystem sei nicht alles schlecht, auch wenn es vor allem im Vorschulbereich viel zu tun gebe.
Wie bewerten Sie die x-te Auflage im Streit um Schule und Lehrerarbeit zwischen Politik und Lehrervertretung?
Schratz: Es zeigt sich wieder einmal, dass man aus budgetären Gründen die Weichbereiche eines Systems bearbeitet. Dazu zählt das Schulsystem, wo die Arbeitszeiten zwischen Bundes- und Landeslehrern unterschiedlich sind. In anderen Ländern, Beispiel Schweden, sind solche Dinge klar geregelt.
Welche Maßnahmen scheinen geeignet, um die harten Fronten zwischen Regierung und Lehrervertretung aufzuweichen?
Schratz: Es geht hier weniger um Maßnahmen. Es sind völlig gegensätzliche Grundhaltungen, die aufeinanderprallen. Wir erleben einerseits ein Lehrerbashing, andererseits das bloße Verteidigen von Rechten. Diese Konstellation ist für vernünftige Gespräche nicht förderlich.
Was sagen Sie zu den Aussagen des Wiener Bürgermeisters Häupl, der die wöchentliche Lehrerarbeitszeit mit seinem Arbeitspensum bis Dienstagmittag gleichsetzt?
Schratz: Solche Aussagen schaden dem Lehrerberuf sehr. Hier werden negative Energien freigesetzt, statt dass man die Energien konstruktiv investiert. Wir brauchen eine wertschätzende Grundhaltung dem anderen gegenüber. Aussagen wie jene von Häupl lösen nicht-steuerbare Prozesse aus.
Wie beurteilen Sie die Absenz von Bildungsministerin Heinisch-Hosek in der jüngsten Diskussion?
Schratz: Für mich ist diese Absenz ein Beispiel dafür, wie politisch das Thema Schule behandelt wird, wie sehr parteipolitische Konstellationen Diskussion und Verhalten bestimmen.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Defizite in unserem Schulsystem?
Schratz: Unser Schulsystem ist immer noch zu sehr von Rahmenbedingungen geprägt, wie es sie früher gab. Es hat sich nicht, oder zu langsam, an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst.
Hat unser System auch Vorzüge?
Schratz: Ja, durchaus. Wir sind zum Beispiel im berufsbildenden Bereich sehr gut aufgestellt. Das größte Problem haben wir im Vorschulbereich. Es funktioniert also das Ende des Wirkungsbereichs unseres Systems, jedoch nicht so sehr der Anfang.
Gibt es international ein Bildungssystem, an dem sich Österreich orientieren sollte?
Schratz: Sich ein bestimmtes System einfach anzueignen, ist schwierig. Man muss immer die Rahmenbedingungen beachten, unter welchen ein System funktioniert.
Zur Person
Prof. Dr. Michael Schratz (63)
Der aus Feldkirch stammende Wissenschaftler leitet die Fakultät für Lehrerbildung an der Universität Innsbruck. Er war ursprünglich selbst Lehrer für Englisch und Sport, ehe er sich den Bildungswissenschaften zuwandte.