Sexuelle Revolution im Islam

Eine muslimische
Feministin spricht
über ihren Kampf für Reformen im Islam.
Bregenz. Seyran Ates ist Anwältin, Feministin und gläubige Muslimin. In Berlin will sie eine liberale Moschee gründen. Ihr Kampf für Frauenrechte im Islam brachte ihr Polizeischutz ein, 1984 wurde sie bei einem Attentat auf eine Klientin schwer verletzt. Diese Woche war sie in Vorarlberg zu Gast, die VN trafen sie zum Gespräch.
Wie geht es Feministinnen im Islam?
Ates: Es ist lebensgefährlich. Aber den Kampf gegen Fundamentalisten führen Christinnen und Jüdinnen auch.
Wurden Sie persönlich auch bedroht?
Ates: Ich lebe seit 2006 unter Polizeischutz. Damals habe ich mich stark für einen eigenen Strafbestand Zwangsheirat eingesetzt. Im Islam ist das nicht erlaubt, die Frau muss einwilligen. 2009 habe ich ein weiteres Buch geschrieben: „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“, da habe ich etwas getroffen, was die tiefste Kluft zwischen westlicher und islamischer Welt darstellt.
Braucht der Islam eine Art Aufklärung?
Ates: Das ist das Erste, was einem im Westen einfällt: Wo ist Immanuel Kant, wo ist Martin Luther? Ich sage, es braucht mehr. Es geht immer um das Thema Sexualität, Freiheit und Individualität. Insbesondere in einer Religion, die viel sexualisierter ist als das Christentum und das Judentum.
Es gibt alte Bilder aus dem Iran, die Frauen mit kurzen Röcken zeigen. Hat sich der Islam zurückentwickelt?
Ates: Ja, seit dem 14. Jahrhundert. Dieser Rückschritt ist in den letzten 30 Jahren schlimmer geworden. Angefangen mit dem islamischen Staat Iran und der Grundhaltung des arabischen Raumes. Etwa Saudi-Arabien, dieses reiche Land, das im Öl ertrinkt und dadurch Zeit hat, sich über die Rocklänge der Frauen Gedanken zu machen. Gleichzeitig gibt es die Gegenbewegung. In der Türkei haben 51 Prozent nicht Erdogan gewählt.
Ist das Kopftuch ein Ausdruck der Religionsfreiheit oder ein Mittel zur Unterdrückung der Frau?
Ates: Wenn diese Frauen mit uns dafür kämpfen, dass jede Frau frei ist, und wenn sie nicht andere Frauen beeinflussen, auch ein Kopftuch zu tragen, dann haben sie meine Solidarität als Demokratin. Als Frauenrechtlerin und Feministin gestehe ich ein, dass ich mir eine Welt ohne Kopftuch wünsche. Weil ich in den Haaren der Frau nichts finde, was den Mann sexuell reizen sollte.
Können Sie sich vorstellen, dass sich eine Frau frei und selbstbestimmt für eine Burka entscheidet?
Ates: Ich kenne Frauen, die sich so äußern. Aber ganzkörperverschleiert, auch noch die Augen zu, die können nicht einmal Treppen steigen, der Mann muss sie an der Hand nehmen. Ob das wirklich ihr freier Wille ist?
Aber was tun?
Ates: Aufklären, und die Burka in Schulen, Universitäten und öffentlichen Ämtern verbieten. Ich wünsche mir keine Richterin, die so gekleidet ist. Aber im Privaten können wir das nicht tun. Wir müssen in einer freien Demokratie hinnehmen, dass Menschen sich für Lebensmodelle entscheiden, die uns nicht genehm sind.
Ab wann kommt man mit Aufklärung nicht mehr dagegen an?
Ates: Das ist wie bei Amokläufern. Es gibt in der Psychologie irgendwann den Punkt, wo man nicht mehr rankommt. So einen Prozentsatz werden wir immer haben. Deshalb müssen wir damit leben, dass es NPD-Anhänger gibt. Wir haben die AFD und Pegida. Es gibt Menschen, die zünden Flüchtlingsheime an. Wichtig ist: Wer ist in der Mehrheit?
Könnte uns die Zuwanderung aus muslimischen Ländern Probleme bereiten?
Ates: Ich versuche seit vielen Jahren darauf aufmerksam zu machen. Es kommen Menschen, die nicht gewohnt sind, dass Mann und Frau gleichberechtigt auftreten. Auch junge syrische Männer, die studiert haben, kennen unsere Gesellschaft nicht. Aber natürlich wird sich nicht plötzlich jede Frau verschleiern müssen.
In der Türkei haben 51 Prozent nicht Erdogan gewählt.
Seyran Ates
Zur Person
Seyran Ates,
Anwältin, Frauenrechtlerin, will in Berlin eine liberale Moschee eröffnen.
Geboren: 20. April 1963 in Istanbul
Wegen Angriffen, Bedrohungen und Anfeindungen gab sie im August 2006 ihre Anwaltszulassung zurück. 2009 zog sie sich nach neuen Morddrohungen aus der Öffentlichkeit zurück. Seit 2011 tritt sie wieder in der Öffentlichkeit auf, 2012 eröffnete sie ihre Anwaltskanzlei.