Muss man denn wirklich alles regeln?

Vorarlberg / 20.09.2016 • 18:37 Uhr
Zwei Juristen der Landes, Raimund Fend (l.) und Matthias Germann, legten das Vorarlberger Baugesetz neu auf. Foto: VN/Prock
Zwei Juristen der Landes, Raimund Fend (l.) und Matthias Germann, legten das Vorarlberger Baugesetz neu auf. Foto: VN/Prock

Die Landesjuristen Germann und Fend sprechen über Vorschriften und Deregulierung.

Bregenz. Eine Bürokratiebremse muss her. Deregulieren, weniger Vorschriften. Wenn es darum geht, Gesetze zu streichen, übertreffen sich die Verantwortlichen mit Phrasen. Zu den Vorschriften mit besonders schlechtem Ruf zählen jene aus dem Baugesetz und der Bautechnikverordnung. Darin wird etwa die Mindesthöhe eines Geländers festgehalten.

Matthias Germann leitet die Abteilung “Gesetzgebung” in der Landesverwaltung, Raimund Fend ist Chef der Abteilung “Raumplanung und Baurecht”. Das Duo hat das Vorarlberger Baugesetz neu aufgelegt und ist mit dem Spagat zwischen Vorschriften und Deregulierung bestens vertraut.

Jede Norm hat einen Zweck

Versuche, das Baugesetz zu vereinfachen, gab es immer wieder. Anlagen, die durch das Gewerberecht genehmigt wurden, nahm man aus dem Baugesetz heraus. Das heißt: Eine der viel zitierten Doppelgleisigkeiten wurde beseitigt. Kurz darauf schrieb die Gewerbebehörde erstmals vor, dass Lärmschutzmauern direkt am Nachbargrundstück zu errichten sind; hohe Mauern, die dem Nachbarn Licht und Aussicht nehmen. Laut Baugesetz hätte ein Mindestabstand eingehalten werden müssen. Ärgerlich für den Nachbarn, die Deregulierung wurde zurückgenommen. “Da sieht man, dass die Norm, die man als Regulierung kritisieren kann, einen Zweck verfolgt und jemandem zugutekommt”, schildert Matthias Germann.

Muss der Gesetzgeber alles regeln? “Das ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung”, stellt Raimund Fend fest. Das fängt schon bei der Mindesthöhe des Balkongeländers an, der Gesetzgeber könnte die Entscheidung auch dem Bauherrn überlassen. “Dann fällt jemand betrunken über das Geländer und alle fragen sich: Wie konnte man das nur genehmigen?”, ist sich Fend sicher.

Viel Freiraum bietet das Baugesetz beim Orts- und Landschaftsbild. Bauwerke müssen hinsichtlich Größe, Form, Farbe und Material zur Umgebung passen. Was das genau heißt, bleibt unbestimmt, die Gemeinden können Details mittels Bebauungsplan regeln. Durch das ungenaue Gesetz können Kommunen also auf ihre Bedürfnisse eingehen, was umgekehrt bedeutet: “Je allgemeiner eine Regelung ist, desto unterschiedlicher kann sie gehandhabt werden”, hält Germann fest. Zum Beispiel durften laut Gesetz lange Zeit nur jene Personen Güterwege befahren, die dazu befugt waren. Die Gemeinde erteilte Befugnisse per Verordnung. Einen Kriterienkatalog gab es nicht. Dieses Gesetz wurde vom Verfassungsgerichtshof als zu unbestimmt aufgehoben und konkretisiert.

Das Baugesetz ist Ländersache. In Tirol werden viele Details im Gesetz geregelt, Vorarlbergs Baugesetz ist sehr offen. Matthias Germann erzählt: “Als wir Anfang 2000 in einer Arbeitsgruppe zur Harmonisierung des Baurechts saßen, haben wir mit den Wienern über die Raumhöhe gesprochen. In Wien war die Mindesthöhe 2,60 Meter, bei uns 2,40 Meter. Da fragten die Wiener: ‘Werdet ihr nicht alle depressiv, bei dieser Raumhöhe?'”

Was im Baugesetz geregelt ist, bestimmt der Landtag. Das Baugesetz soll als Rahmen dienen, Details werden in der Beutechnikverordnung festgeschrieben. Diese kann die Landesregierung erlassen. Als Baubehörde fungiert schließlich die Kommune.

Das Vorarlberger Baugesetz. Erhältlich bei „Das Buch“, bis
31. Oktober 29 Euro, danach 35 Euro.