1400 Menschen baten Wohnungshilfe um Rat

Leiter der Kaplan-Bonetti-Beratungsstelle hält Sozialhilfekürzung für eine Katastrophe.
Schwarzach. Sozialpolitik ist mehr als ein Zahlenwerk. Hinter jedem Betrag, hinter jedem Budgetposten, hinter jedem Euro stehen Menschen. Ein Umstand, den Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) am Dienstag hervorhob, als sie den Regierungsentwurf zur neuen Mindestsicherung vorstellte. Anschließend präsentierte sie die Eckpunkte, unter anderem die Kürzung der Hilfe bei Wohnkosten. Diese Maßnahme sorgt nun bei jenen Institutionen für Aufregung, die mit den Betroffenen arbeiten. Michael Hämmerle leitet die Kaplan-Bonetti-Beratungsstelle. Er sagt: „Diese Aktion ist reine Signalpolitik, ohne Vernunft. Eine Katastrophe.“
Bisher arbeitete das Land mit Orientierungswerten. Für eine alleinstehende Person lag dieser bei 529 Euro ohne Heizkosten. Das heißt, die Behörde kann mehr bezahlen, falls der Bedarf gegeben ist. Nun will die schwarz-grüne Koalition den Orientierungssatz in einen Höchstwert umwandeln, und diesen auf 503 Euro kürzen. „Zeigen Sie mir eine Zweizimmerwohnung im Rheintal, die 500 Euro kostet“, betont Hämmerle. Der aktuelle Richtsatz von 529 Euro sei im Jahr 2014 als angemessen eingeführt und seitdem nicht erhöht worden, bei gleichzeitig steigenden Mieten. Das Resultat spürt Hämmerle direkt: 2015 hat seine Stelle rund 1100 Menschen beraten. Im Jahr 2016 sind es ungefähr 300 mehr. „Die Zahl der Klienten ist um 17 Prozent gestiegen“, rechnet er vor. „Und nun werden es sicherlich mehr.“ Auch Caritas-Direktor Walter Schmolly befürchtet: „Die Folge wird sein, dass sich die Situation einkommensschwacher Personen und Familien auf dem Wohnungsmarkt dramatisch verschlechtern wird.“
Armutskonferenz protestiert
Ähnlich reagiert Michael
Diettrich von der Armutskonferenz. Die Wohnkostenkürzung sei verantwortungslos. Schon 2013 habe er vorgerechnet, dass sich 1,6 Millionen Euro sparen ließen, wenn ein Drittel jener Sozialhilfeempfänger, die derzeit im freien Wohnungsmarkt wohnen, in gemeinnützige Wohnungen umzieht. Zum Vergleich: Mit den neuen Höchstgrenzen will das Land 1,5 Millionen Euro sparen.
Er ist sich sicher: „Die Kürzungen sind nichts anderes als Auftragserfüllung von Vorgaben der ÖVP-Parteizentrale in Wien, abgemildert durch den grünen Regierungspartner. Die von Landeshauptmann Wallner vorgebrachten Begründungen sind nicht stichhaltig.“ Die Zahlen würden zeigen, dass die Entwicklung der Sozialausgaben auf die schlechte wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen sei. Diettrich vergleicht die Einnahmen aus der Wohnbauförderung mit den Ausgaben: „Gerade in der Zeit der Flüchtlingszuwanderung ist die Belastung des Budgets in diesem Posten gesunken.“ Von 2010 bis 2015 ist sie um 40 Millionen Euro niedriger geworden.
Auch den anderen Argumenten können Hämmerle und Diettrich nichts abgewinnen. Der ÖVP-Begründung, der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe sei zu klein, entgegnet Diettrich: „Und was haben die Niedriglohnbezieher von der Kürzung der Mindestsicherung?“ Die Landesregierung habe zwar Ausnahmen für Härtefälle zugesagt. Hämmerle ist sich aber sicher: „Nun kommt es zu Hunderten Härtefällen, was einen kräftigen Aufwand für die Behörden bedeutet.“ Er erzählt von einem Mann, der seine Frau zu Hause pflegt, weshalb er seinen Job aufgeben musste. Nun könne er sich die Wohnung nicht mehr leisten, sein Arzt warne aber davor, mit seiner Frau noch einmal umzuziehen. Oder: „Ein Mann verlässt Frau und Kinder. Sie kann sich die Wohnung nicht mehr leisten. Muss sie jetzt ausziehen?“ Auf die Rechtfertigung, das Vorarlberger Modell sie besser als jenes der anderen Bundesländer, antwortet Hämmerle: „Unter den Blinden ist der Einäugige König. Ich plädiere dafür, dass sich die Regierung besinnt und sich an der Realität orientiert.“
Die Zahl unserer Klienten ist 2016 um 17 Prozent gestiegen.
Michael Hämmerle
