Kampf der Progression

Vorarlberg / 09.06.2017 • 19:55 Uhr

AK und ÖGB fordern ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf, die kalte Progression zu bekämpfen.

Bregenz. „Progression“ ist ein Allzweckwort. Es beschreibt ein Spielsystem beim Roulette, Sanktionen beim Handball, eine Stilrichtung in der Rockmusik. Progression kann den Krankheitsverlauf charakterisieren, ein Horoskop; und sie kann kalt sein. Als „kalte Progression“ bezeichnet man einen Effekt im Steuersystem, der – salopp gesagt – Lohnerhöhungen auffrisst. Und zwar weil jemand, dessen Gehalt erhöht wird, plötzlich in eine höhere Steuerstufe gelangen könnte. Dies wiederum erhöht den Steuersatz, wodurch am Ende sogar weniger auf dem Konto bliebe. Diesen Effekt wollte die Regierung bekämpfen, was nun dem Wahlkampf zum Opfer fallen könnte. Kürzlich wiederholte der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz eine alte Forderung seiner Partei, die Abgabenquote auf 40 Prozent zu senken. Vorarlbergs Arbeitnehmervertreter nahmen dies zum Anlass, Kurz per offenem Brief aufzufordern, die kalte Progression zu bekämpfen. Schließlich würde das die Abgabenquote senken.

Arbeiterkammerpräsident Hubert Hämmerle und ÖGB-Chef Norbert Loacker schreiben: „Ihre Ankündigung hören wir gerne. Diese Forderung gibt es seit mehr als zehn Jahren, getan hat sich wenig.“ Dabei würden es die Schweizer vormachen. Dort werden die Steuerklassen jährlich automatisch der Inflation angepasst. „Das brauchen wir auch in Österreich“, fordert Hämmerle im VN-Gespräch. „Nicht nur die Steuerklassen, auch Absetz- und Freibeträge müssen automatisch angepasst werden.“ Und zwar bei allen Gehältern.

Rote-schwarze Konfliktlinie

Loacker sieht das ein wenig anders, wie er den VN schildert: „Natürlich müssen vor allem die unteren und mittleren Einkommen von der Abschaffung der kalten Progression profitieren.“ Damit tun sich zwischen Hämmerle (ÖVP) und Loacker (SPÖ) jene Konfliktlinien auf, die auch in der Bundesregierung sichtbar sind. Einig sind sich Hämmerle und Loacker allerdings, was die automatische Anpassung und den Zeitpunkt betrifft. „Auch wenn die SPÖ gegen eine automatische Anpassung ist, eine Mehrheit werden Sie im freien Spiel der Kräfte mit Sicherheit finden“, schreiben sie an Kurz.

Der Vorarlberger Landtag ist sich fast einig. Im Mai stimmten ÖVP, FPÖ und SPÖ einem Neos-Antrag zu, wonach die Bundesregierung die Grenzen automatisch anpassen soll. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) betont auf VN-Anfrage: „Eine jährliche automatische Anpassung wäre natürlich die beste Lösung.“ Dem Wunsch, dies über das Spiel der freien Kräfte zu beschließen, erteilt er eine Absage: „Das ist nicht ganz ungefährlich.“ Und das, obwohl eine Mehrheit in Reichweite wär. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und Neos-Sprecher Matthias Strolz erklärten kürzlich in den VN, einer automatischen Anpassung ihre Zustimmung erteilen zu können. Und Schwarz-Blau-Pink würde reichen.

Steuerklassen müssen automatisch angepasst werden.

Hubert Hämmerle

Offener Brief.
PDF zum Download: http://VN.AT/subRyX