Gewalt kontra Existenzverlust

Kurz bleibt dabei: Gewalttäter härter strafen. Unterschiedliche Meinungen im Land.
Wien, Schwarzach. Außen- und Integrationsminister sowie ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz (30) hat auch am Dienstag eine weitere Verschärfung des Strafrechts gefordert und betont, es gebe ein Missverhältnis zwischen Vermögens- und Gewaltverbrechen. Die Strafen bei Letzteren seien teilweise zu niedrig. “Es gab Veränderungen 2016, das ist richtig. Die Veränderungen gingen in die richtige Richtung, waren aber nicht weitgehend genug”, sagte Kurz am Dienstag.
Prechtl-Marte überrascht
In Vorarlberg gibt es dazu laut aktueller Umfrage unter Experten unterschiedliche Meinungen. Landesgerichtsvizepräsidentin Angelika Prechtl-Marte (53) zeigte sich von den Äußerungen des ÖVP-Chefs überrascht. “Mit der Novelle zum Strafrecht am 1. Jänner 2016 wurde ja genau dieser Intention Rechnung getragen, der Strafrahmen für Gewaltdelikte erfuhr im Vergleich zu Vermögensdelikten eine Verschärfung. Es wurde also exakt diese Forderung bereits umgesetzt. Wir sollten uns jetzt schon ein bisschen Zeit für eine Evaluierung geben.”
Zu verschiedentlich geäußerten Vorhaltungen, Richter würden den bestehenden Strafrahmen nicht entsprechend nutzen, meint Prechtl-Marte: “Aus Sicht eines Opfers oder auch eines Zeitungslesers entsteht wohl immer der Eindruck, dass eine Strafe zu gering ist. Doch wir müssen jeden Fall einzeln beurteilen.” Es sei eben kein Fall wie der andere. “Der Unrechtsgehalt der Tat und die Schuld des Täters sind oft unterschiedlich zu bewerten. Das kann man aber auch nur, wenn man jeden einzelnen Fall genau betrachtet”, sagt die Richterin, die schon viele Jahre im Strafrecht tätig ist und vor allem sehr viel mit Jugendlichen zu tun hat.
“Im unteren Drittel”
Für Staatsanwalt Manfred Bolter (57) gilt: “Ich versuche das in einem Prozess umzusetzen, was an Strafrahmen juristisch vorgegeben ist. Wenn eine harte Strafe für einen Gesetzesbrecher möglich ist, setze ich mich dafür ein. Mein Blickpunkt ist grundsätzlich daraufhin gerichtet, jemanden zu überführen.”
Skeptisch beurteilt Bolter die Tendenz, Vermögensdelikte im Vergleich zu Gewaltdelikten zu verniedlichen. “Vermögensdelikte können die Früchte jahrelanger harter Arbeit von Menschen zerstören und Existenzen vernichten.” Man müsse sich vor Augen halten, dass ein Vermögensdelikt mit einem Schaden von bis zu 50.000 Euro nur als Vergehenstatbestand eingestuft wird, ein durch Gewalteinwirkung gebrochenes Nasenbein sei hingegen ein Verbrechen. “Und ein Nasenbein bricht durch einen Schlag schnell”, betont Bolter.
Bei der Anwendung des geltenden Strafrahmens sieht der Staatsanwalt hingegen Luft nach oben. “Da dümpeln wir im unteren Drittel.”
Winfried Ender (60), Leiter des Vereins “Neustart”, der sich unter anderem für die Resozialisierung von ehemaligen Straftätern einsetzt, übt sich ob der Kurzschen Äußerungen in Zurückhaltung. “Das war eine grundsätzliche Äußerung von ihm. Noch liegen ja keine konkreten Vorschläge auf dem Tisch, über die man diskutieren könnte.” Auch Ender sieht in der Strafrechtsnovelle 2016 einen Vorstoß in die von Kurz geforderte Richtung. “Diese Reform wurde lange von Experten analysiert und beurteilt, ehe man sie im Konsens umsetzte. Da muss man jetzt schon einmal sehen, wie sie wirkt.”
Bei Sexualstrafdelikten seien die Strafen bereits sukzessive verschärft worden. “Da gibt es nach einer Veurteilung keine Fußfessel mehr, jedenfalls nicht sofort. Da gibt es sofort Haft”, betont Ender. Die Richter möchte er mit einem breiten Strafrahmen ausgestattet sehen. “Man sollte sie nicht einengen. Die gehen mit ihren Möglichkeiten verantwortungsvoll um”, ist Ender überzeugt. Der Neustart-Vorarlberg-Leiter glaubt auch nicht an die präventive Wirkung von langen Haftstrafen bei Gewaltdelikten. “Weil die meisten von diesen im Affekt passieren. Und da denkt kein Täter über die Konsequenzen nach.”
Auch Therapie gefordert
Gerichtspsychiater und Sachverständiger Reinhard Haller (65) sieht Kurz mit seiner Forderung teils im Recht, teils nicht. “Ich orte beim angewendeten Strafmaß schon ein gewisses Missverhältnis zwischen Gewaltstraftaten und Vermögensdelikten. Bei Gewalttaten wird der Strafrahmen nicht entsprechend ausgeschöpft.”
Bei Sexualdelikten glaubt Haller jedoch nicht an die alleinige Wirkung von Haftstrafen: “Bei diesen Delikten muss es gleichrangig zur Strafe Therapie geben.”
Mit der Novelle zum Strafrecht wurde der Forderung von Kurz bereits Rechnung getragen.
Angelika Prechtl-Marte, Richterin
Vermögensdelikte dürfen nicht verniedlicht werden.
Manfred Bolter, Staatsanwalt