“Autofahren ist viel riskanter”

Vorarlberg / 27.05.2018 • 18:09 Uhr
Die Terrorgefahr in Europa ist weiter hoch, sagt der Experte Peter Neumann.Reuters
Die Terrorgefahr in Europa ist weiter hoch, sagt der Experte Peter Neumann.Reuters

Peter Neumann über die Gefahren des Terrorismus und den Umgang mit Rückkehrern.

Bregenz Weshalb verlassen junge Männer Regionen wie Vorarlberg, um für eine Dschihadistenarmee zu kämpfen? Wie hoch ist die Gefahr in Gegenden wie unserer? Wie gelingt Prävention? Diese Fragen beantwortete der international renommierte Experte Peter Neumann kürzlich den Landtagsabgeordneten in Vorarlberg. Im VN-Interview gab er ebenfalls Antworten.

 

Sie forschen seit über 20 Jahren zum Thema Terrorismus. Wie hat sich der Terrorismus in dieser Zeit verändert?

Neumann Die Situation hat sich 2011/2012 zu Beginn des Syrien-Konflikts dramatisch verschärft. Wir wissen, dass im Lauf der letzten Jahre 30.000 bis 40.000 junge Muslime aus der ganzen Welt in diesen Konflikt gezogen sind. Darunter zwischen 5000 bis 6000 Westeuropäer, davon geschätzte 300 aus Österreich. Der Konflikt hat der sogenannten dschihadistischen Bewegung neue Energie verliehen. Es haben sich neue Netzwerke gebildet, woraus zahlreiche Anschläge entstanden sind.

 

Wir sitzen hier im kleinen Vorarlberg und sprechen über Terrorismus. Wie groß ist die Gefahr in Gebieten wie unserem?

Neumann Grundsätzlich ist die Gefahr, durch Terrorismus zu sterben, überall sehr gering. Es ist sehr viel riskanter, sich ins Auto zu setzen oder bei einem Gewitter auf der Straße zu sein. Gleichzeitig muss man sagen, dass der Islamische Staat in den letzten Jahren sehr aktiv versucht hat, auch Leute zu aktivieren, die nicht zu den jetzt bekannten Netzwerken gehören. Über das Internet haben sie Leute in Orten wie Würzburg und Ansbach erreicht. Vor 15 Jahren hätte ich gesagt: In Bregenz wird nie ein Anschlag passieren. Dies hat sich nun ein bisschen geändert, bedeutet aber nicht, dass man Angst haben muss, wenn man hier über die Straße läuft.

 

Terrorismusbekämpfung wird oft als Polizeiarbeit gesehen. Wie hoch ist der Stellenwert der Prävention?

Neumann Unter der alten Regierung ist in Österreich im Präventionsbereich relativ viel geschehen. Man hat ein Präventionsnetzwerk aufgebaut, wo Sozialarbeiter und Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, und das Netzwerk wurde ordentlich finanziert. Terrorismus bekämpft man eben nicht nur mit der Polizei.

 

Trotz dieses Netzwerks sind zumindest fünf Männer aus Vorarlberg nach Syrien gegangen, um zu kämpfen. Warum?

Neumann Bei der Radikalisierung kommen verschiedene Faktoren zusammen. Das Erste ist ein gewisser Unmut, eine persönliche Krise. Das kann auch eine gesellschaftliche Krise sein, jedenfalls ein Konflikt, der einen für eine neue Wertordnung öffnet. Dann haben sie meistens einen Rekrutierer, der entweder eine Vaterfigur ist oder eine Gruppe zusammenbringt. Und dann haben sie eine Ideologie, die aus der Krise Sinn ergibt. Ich kann mir vorstellen, dass auch jemand in einer so friedlichen und wohlhabenden Ecke Europas wie hier Identitätskonflikte hat.

Wie soll man mit diesen Radikalisierern umgehen?

Neumann Ich bin da relativ … radikal. Wolfsburg ist zum Beispiel keine problematische Stadt, aber da war ein Rekrutierer sehr aktiv, der hat 30 bis 40 Leute aus dieser Kleinstadt nach Syrien gebracht. Ich bin der Meinung, dass man diese Leute aus dem Verkehr ziehen soll. Das gleiche gilt für radikale Moscheen. Anis Amri, der den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt verübt hat, ist in Berlin in eine Moschee gegangen, die in der ganzen Stadt als die Isis-Moschee bekannt war. Der Stadt war es nicht möglich, diese Moschee zu schließen. Da bin ich der Meinung, dass man mit repressiven Mitteln vorgehen soll.

 

Wie soll man mit jenen umgehen, die zurückkehren?

Neumann In Österreich, Frankreich oder Deutschland geht man davon aus, dass bis zu 40 Prozent jener Leute, die nach Syrien reisten, bereits wieder zurück sind. Da gibt es unterschiedliche Fragen: Welche Erfahrung haben die Kämpfer in Syrien gemacht? Ist der Rückkehrer ideologisch gefährlich? Es gibt durchaus welche, die kommen desillusioniert zurück, haben negative Erfahrungen gemacht und sich vom Islamischen Staat abgewandt. Sie stellen akut keine Gefahr dar. Es gibt aber auch solche, die kommen zurück und sind gefährlich. Wir haben mit vielen Kämpfern in Syrien kommuniziert und die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute entweder noch weiter radikalisiert haben oder desillusioniert wurden.

 

Das heißt? Wie soll man mit diesen Menschen umgehen?

Neumann Jemand, der sich von der Bewegung abgewendet hat, keine Gefahr mehr darstellt und von dem nicht bekannt ist, dass er in Syrien gewalttätig war, den kann man möglicherweise unter strengen Auflagen wieder in die Gesellschaft integrieren. Bei jemandem, der nach wie vor gefährlich ist und in Syrien gekämpft hat muss man auf jeden Fall versuchen, ihn vor Gericht zu stellen und zu verurteilen.

 

Sie haben vor zwei Monaten in Österreich für Aufregung gesorgt, als Sie kritisierten, dass Österreich keine russischen Diplomaten ausgewiesen hat. Wieso?

Neumann Österreich war das einzige Land in der EU, das nach dem wahrscheinlichen Anschlag auf Skripal in London keine Maßnahmen gegen Russland unternommen hat. Das wird natürlich in den anderen Ländern hinterfragt. Ich habe nur die Frage gestellt, womit das zusammenhängt. Hat das damit zu tun, dass Österreich immer schon eine neutrale Vermittlerposition einnehmen wollte? Das ist ja durchaus richtig. Oder damit, dass eine Partei in der Regierung ist, die sehr aktive und enge Beziehungen zu Russland unterhält? Andere Staaten haben sich einfach ein klares Signal erhofft. Also das Österreich sagt: O. k., wir haben uns entschieden, keine Diplomaten auszuweisen, aber das bedeutet nicht, dass wir zum Satelliten Russlands werden.

 

Entfernt sich Österreich von der westlichen Staatengemeinschaft?

Neumann Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass Sebastian Kurz jemand ist, der Österreichs Platz absolut in Europa sieht und möchte, dass Österreich im Westen verankert ist. Andere Staaten machen sich halt Sorgen über den Koalitionspartner von Kurz.

 

Die Posse um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) macht die Sorgenfalten sicher nicht kleiner.

Neumann Ich möchte kein politisches Statement abgeben. Aber ich finde es gut, dass die Suspendierung von Peter Gridling aufgehoben wurde. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und halte ihn für einen der fähigsten Verfassungsschutzchefs Europas. Gerade in der aktuellen Situation wäre es ein Fehler, einen so erfahrenen Chef ohne Grund aus dem Amt zu drängen. Er versteht die Gefahr und hat aus den beschränkten Mitteln, über die der Verfassungsschutz in Österreich verfügt, sehr viel gemacht.

„Ich halte Peter Gridlung für einen der fähigsten Verfassungsschutzchefs Europas.“

Zur Person

Peter Neumann

deutscher Experte für islamistischen Terror. Seit 2008 Direktor des „International Centre for the Study of Radicalisation“ am Londoner King’s College.

Geboren 4. Dezember 1974

Arbeit Schrieb zahlreiche Bücher über Terrorismus und Radikalisierung und war OSZE-Sondergesandter.