Montessori-Pädagogin Birgit Sieber-Mayr (60) über die Kunst, sich den Fehler zum Freund zu machen

Vorarlberg / 13.03.2019 • 15:30 Uhr
Birgit Sieber-Mayr unterrichtet an der VS Kirchdorf in Lustenau.
Birgit Sieber-Mayr unterrichtet an der VS Kirchdorf in Lustenau.

Birgit Sieber-Mayr ist Obfrau des Montessori-Vereins und seit 34 Jahren Lehrerin.

lustenau Die Lehrerin ist in ihrer Klasse anzutreffen, umringt von wissbegierigen Mädchen und Buben. Bereits vor 34 Jahren ist sie als Sonderschullehrerin in ihren Beruf gestartet. „Mach dir den Fehler zum Freund.“ Diesen nicht alltäglichen Grundsatz hat sich die Kennelbacherin bereits in jungen Jahren an die Fahnen geheftet.

Den Fehler zum Freund? „Wir alle machen Fehler“, sagt Birgit Sieber-Mayr, gerade das gebe uns die Chance, unser Denken zeitweise selbstkritisch zu hinterfragen und zu verändern. Als es dann auch für ihre eigenen Kinder soweit war, die Schulbank zu drücken, wählte sie als Elternteil den Montessori-Zweig. „Auf diese Weise bin ich mit einer etwas anderen Art von Pädagogik vertraut geworden, für die ich mich sehr interessiert habe“, erzählt sie im Rückblick. „Das mach ich auch einmal“, ging ihr damals spontan durch den Kopf und weiter: „Ich wollte eine bessere Sonderschullehrerin werden und dachte mir, wenn ich hier vorne an der Tafel stehe, kann ich dem einzelnen Kind nicht gerecht werden, denn Kinder verändern sich ständig.“ Bald nahm sie den Wechsel an die Volksschule vor und unterrichtet seither selbst nach Montessori. Deshalb war es dann für sie nur eine Frage der Zeit, bis sie zur Mitbegründerin des Montessori-Vereins Vorarlberg wurde. Und seit Kurzem ist sie Obfrau. „Die Reformpädagogik bietet viele Antworten auf die Herausforderungen, denen wir uns in der Schule ständig neu stellen müssen“, spricht Sieber-Mayr heute aus ihrer langjährigen Erfahrung.

Der Verein hat die Aufgabe, Montessori-Lehrerinnen und -Lehrer auszubilden. Diese Ausbildung, bei der man in Mathematik, Deutsch und Sachunterricht viele neue didaktische Wege gelehrt bekommt, sei sehr umfassend. „Es treffen sich Volks- und Mittelschullehrer zu einem regen Austausch und unterstützen sich gegenseitig, wie der Unterricht verbessert werden kann“, gibt sie als Obfrau einen kurzen Einblick in die Agenden des Vereins.

Enger Bezug zu Lustenau

Die inzwischen 60-jährige Montessori-Pädagogin unterrichtet an der Volksschule Lustenau-Kirchdorf. Mit der Zeit habe sie zu Lustenau einen engen Bezug bekommen. „Der Dialekt mit den vielen prägnanten Ausdrücken gefällt mir besonders gut“, erwähnt sie lachend. Zudem habe sie Hannes Grabher als einen außergewöhnlichen Mundartdichter und dessen Literatur, der sie sich gerne widmet, liebgewonnen.

„Kinder lernen von Kindern“

Seit Anbeginn führt sie an der Kirchdorfer Schule eine jahrgangsgemischte Klasse, in der meist vier bis fünf Kinder mit Behinderung integriert sind. „Das ist für mich die Herausforderung, denn Kinder lernen von Kindern. Der Unterricht ist individuell ausgerichtet, trotzdem müssen die Lernziele erreicht werden.“ Aber auch Grenzen setzen sei ganz wichtig. Jedes Kind brauche Grenzen.
Ebenso wichtig sei die Zusammenarbeit mit den Eltern. Mütter und Väter haben vor der Einschulung die freie Wahl, welchen Zweig sie für ihr Kind am geeignetsten finden. „In diesem Schuljahr gibt es erstmals eine Deutsch-Klasse, die acht Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache besuchen, das heißt: Auch Flüchtlingskinder sollen einen guten Platz bekommen.“

“Auf diese Weise bin ich mit einer etwas anderen Art von Pädagogik vertraut geworden.”

Birgit Sieber-Mayr

„Die Erfahrung hat gezeigt, dass Noten bis zur vierten Klasse wenig sinnvoll sind. Bei der Benotung eines Aufsatzes werden immer unterschiedliche Ergebnisse herauskommen“, nennt die Lehrerin ein Beispiel. Ihr Anliegen wäre die Gesamtschule bis 14 Jahre. Danach könne der Wechsel vom älteren Kind selbst wesentlich besser entschieden werden als mit zehn Jahren. Dabei nennt sie das Beispiel ihrer eigenen Kinder, die nach vier Jahren Volksschule in das Gymnasium gewechselt haben. In diesem Alter sei man noch gar nicht reif, diese Entscheidung zu treffen, oder welchen Zweig man erwägen soll. Neben der Schule sucht die zweifache Mutter den Ausgleich in der Natur und Musik. Am schnellsten abschalten kann sie beim Musizieren. Sie spielt Gitarre und Flöte. Im Winter entspannt sie sich beim Skifahren. Den Sommer nützt sie für längere Radreisen an Flüssen entlang. Heuer steht Italien, eine Flussfahrt am Po entlang, auf dem Ferienplan. Abschalten und neu auftanken könne sie natürlich auch gut bei Gesprächen innerhalb der Familie. EH