In wenigen Jahren vom Analphabet zum Lehrling

Vorarlberg / 01.01.2020 • 17:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
In wenigen Jahren vom Analphabet zum Lehrling
Aref Ashori bei seiner Arbeit im Friseursalon Daniel W. in Hohenems. Er befindet sich aktuell im zweiten Lehrjahr. VN/Paulitsch

Ein junger Flüchtling aus dem Heim in Hohenweiler wird Friseur.

Hohenweiler Als Neunjähriger muss Aref Ashori zum ersten Mal fliehen. In Afghanistan herrscht Krieg, seine Familie sieht keine Zukunft mehr. Wie viele seiner Landsleute zieht es sie in den Iran. Rund drei Millionen Afghanen sollen dort leben. Sie befinden sich im sozialen Status weit unten, viele kämpfen ums Überleben. Auch die Ashoris. Aref, noch ein Kind, muss arbeiten. Eine Schule hat er nie besucht. Mit der Zeit wird die Lage gefährlicher, 2015 sehen sich die Ashoris erneut gezwungen, die Flucht anzutreten. In die Türkei soll es gehen, später nach Europa. Im Mai 2015 macht sich die sechsköpfige Familie auf den Weg. Als Aref Ashori am 17. November 2015 österreichischen Boden betritt, ist er ein UMF geworden – ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020. Aref hat wieder eine Mama gefunden. Der ehemalige Analphabet steht kurz vor Abschluss des zweiten Lehrjahres.

Als 2015 Tausende Menschen Zuflucht in Österreich suchen, ist das Chaos groß. Das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen ist hoffnungslos überfüllt, Aref Ashori teilt sich sein Zimmer mit 25 anderen. Er kann weder lesen noch schreiben, als er den Asylantrag ausfüllt. Der Beamte schreibt Rauf statt Aref in die Dokumente. Zwei Monate bleibt er in Traiskirchen, bevor es nach Korneuburg geht. “Wir waren 100 Leute”, erinnert sich der mittlerweile 20-Jährige. Sein offizieller Geburtstag ist der 1. Jänner 2000. Wie so viele kennt er den eigentlichen Geburtstag nicht. 100 Menschen in Korneuburg, das sind 100 Köpfe, deren Haare es zu schneiden gilt. “Wir haben uns eine Maschine gekauft und ich habe angefangen. Das habe ich davor noch nie gemacht.” Aref Ashori findet schnell Gefallen daran: Er möchte Friseur werden.

Zwei, die sich finden

Nadja Natter lebt in Hohenweiler. In der Gemeindevertretung ist sie für Soziales zuständig, mit Flüchtlingen hat sie bisher wenig zu tun. Das ändert sich, als am 24. Februar 2016 30 unbegleitete Minderjährige ins ehemalige Gasthaus Krone einziehen. “Der Bürgermeister sagte, ich soll hin, um sie zu begrüßen”, erzählt sie. Dort lernt die Berufsschullehrerin Aref Ashori kennen. Monate später sind sie nicht mehr zu trennen: Sie feiern gemeinsam, lernen gemeinsam, irgendwann nennt er sie Mama.

Zu seiner richtigen Familie hat er keinen Kontakt mehr. Als die Ashoris in die Türkei fliehen, hat der Schlepper nur für fünf Personen Platz. Sohn Aref bleibt zurück, er geht einen anderen Weg. Beim vereinbarten Treffpunkt in der Türkei wartet er zwei Monate lang. Dann setzt er seinen Weg nach Europa alleine fort. Von seiner Familie hört er nie wieder etwas, erzählt er.

Das IFS betreut die unbegleiteten Minderjährigen, ihre Tage in der Unterkunft sind streng geregelt. Täglich stehen Lernübungen auf dem Programm. In der Freizeit lernt Aref Ashori weiter, mit Nadja Natters Hilfe findet er im November 2017 eine Schnupperstelle bei Friseur Daniel Wüstner in Hohenems. “Am Anfang war er nervös, aber bemüht. Ich habe riesiges Glück, solche Lehrlinge zu haben”, ist der Chef voll des Lobes für seinen Schützling. Zunächst reichen die Sprachkenntnisse aber für die Berufsschule noch nicht aus. Wüstner stellt ihn ein halbes Jahr lang als Praktikant an, bis Ashori im April 2018 seine Lehre beginnen kann. Der Chef lacht und erzählt: “Eines Tages kam er zu mir und sagte: Er kenne jemanden, der sei noch besser als er.” Kurze Zeit später stellt er einen zweiten Lehrling aus dem ehemaligen UMF-Heim in Hohenweiler ein.

Zwei Drittel der ehemaligen Heimbewohner erhielten einen negativen Asylbescheid in erster Instanz, erzählt Nadja Natter. Ashori nicht. Er ist subsidiär schutzberechtigt und hofft, dass er seine Lehre abschließen kann. Ein nächstes Ziel steht auch schon fest: der Führerschein. Bisher fährt er aus Hohenweiler mit Bus und Zug eineinhalb Stunden zur Arbeit und am Abend retour. Aber das macht er gerne. Für seinen Job. Für sein neues Leben.