Mit der Aussicht auf das neue Du

Vorarlberg / 09.04.2020 • 06:30 Uhr
Mit der Aussicht auf das neue Du
Carmen und Günther feiern den Gründonnerstag mit ihren Buben Damian, Jonathan und Jeremias: Sie backen gemeinsam Brot und legen das Kreuz in die Mitte. WILLI

Mit Freunden am Tisch sitzen – der Gründonnerstag gibt den Blick frei in eine glücklichere Zukunft.

Egg Er wächst schon. Vor zehn Tagen hat Carmen Weizen gesät. Jetzt, am Gründonnerstag, reckt sich das Pflänzchen schon in die Höhe. Der Weizen ist ein Symbol. Für das Leben schlechthin, das Werden, die Zukunft… Jesus selber hat das Bild gern verwendet, auch für seinen eigenen schwierigen Weg: „Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“, sagt er zu seinen Anhängern, „wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“

Ihr „Lieblingstag“

Der Gründonnerstag ist für die Volksschullehrerin Carmen Willi (39) aus Egg „immer mein kirchlicher Lieblingstag“ gewesen. So viele Erinnerungen knüpfen sich daran. Was am Gründonnerstag vor 2000 Jahren passiert ist, „kann nicht dichter sein: Das Zusammensitzen mit Freunden, tiefe Gespräche, die große Enttäuschung, das Alleinsein, die Angst und auch das Wissen, dass dennoch jemand da ist.“ Das alles findet Carmen in der Erzählung wieder, die wir den Evangelien verdanken.
Die Bibel überliefert, dass Jesus am Vorabend seiner Verhaftung mit den Jüngern das Pascha-Fest gefeiert hat. Dabei brach er das Brot und teilte den Wein aus und gab ihnen den Auftrag, dies in Zukunft zu seinem Gedächtnis zu tun. Jesus wusste bereits, dass Judas ihn verraten und er sterben würde. (Mt 26,21). Das Johannesevangelium erzählt zudem, wie Jesus als Zeichen der Nächstenliebe den Jüngern die Füße wusch (Joh 13,5-15).

„Am gemeinsamen Tisch sehen wir, wofür wir Menschen geschaffen sind.“

Carmen Willi

Nach dem Abendmahl gingen Jesus und die Jünger zum Ölberg. Dort prophezeite Jesus Petrus, dass der ihn drei Mal verleugnen würde, noch ehe der Hahn am Morgen gekräht haben würde. Dann ging Jesus mit drei der Jünger zum Garten Gethsemane. Sie sollten mit ihm wachen. Doch die Jünger schliefen ein, während Jesus betete. In großer Angst bat er seinen Vater darum, den drohenden Tod von ihm abzuwenden. Doch gleichzeitig ergab er sich in Gottes Wille (Mt 26, 30-44). Mitten in der Nacht betrat Judas mit Soldaten den Garten. Zum Zeichen, wen sie verhaften sollten, gab er Jesus einen Kuss. Die Soldaten nahmen Jesus fest und brachten ihn zum Verhör vor den Hohen Rat (Mt 26,45-50)

Brot und Kinderwein

Soweit die Geschichte, Carmen und ihr Mann Günther feiern heute zusammen mit ihren drei Buben Damian (10), Jonathan (8) und Jeremias (6), eine kleine, ganz einfache Liturgie. „Wir backen zusammen ein Fladenbrot, decken den Tisch schön für das Brot und einen guten Saft. Dann lesen wir aus der Kinderbibel das letzte Abendmahl vor. Zu dem Brot dazu legen wir ein leeres Kreuz aus Papier. Alle setzen wir unsere Fingerabdrücke dorthin, wo die Balken sich treffen. Dann essen und trinken wir gemeinsam.“ Das an sich wäre schön schlicht. Und doch fehlte ein Teil. „Am Schluss unserer kleinen Feier legen wir ein schwarzes Tuch zum Kreuz.“ Dieses Tuch wird am Karfreitag das Kreuz bedecken, an dem Tag, an dem Jesus gestorben ist.

Auf dem Kreuz hinterlassen alle einen Fingerabdruck, dort wo die Balken sich treffen.
Auf dem Kreuz hinterlassen alle einen Fingerabdruck, dort wo die Balken sich treffen.

Die Geschichte Jesu ist voller Bilder vom Mahlhalten. Tischgesellschaften gehören zur Tradition der Bibel. Das zeigt in den Augen von Carmen Willi auch, „wofür wir Menschen geschaffen sind.“ Der Religionsphilosoph Martin Buber hat dem Gedanken, dass der Mensch ein „Du“ braucht, ein ganzes Buch gewidmet. Der feierliche Gründonnerstag 2020, der Tischgemeinschaften mit Freunden noch verbietet, erzählt umso eindringlicher von diesem Du. In den Tagen der Pandemie bedeutet jedes einzelne Du vor allem ein Leben, das es zu schützen gilt. Um nach der Krise wieder das Brot mit ihm zu teilen.