Halbe Million Liter brauchbare Milch in Vorarlberg weggeschüttet

Von gesperrten Höfen nehmen Milchverarbeiter auch keine unbedenkliche Ware.
Feldkirch Es ist ein heikles Thema und lässt die Betroffenen ihre Emotionen nur mit Mühe bändigen. 700.000 Liter Milch konnten laut Auskunft der Landwirtschaftskammer Vorarlberg allein im ersten Halbjahr 2020 in Vorarlberg nicht vermarktet werden. Es handelt sich dabei um Milch von aktuell negativ auf TBC getesteten Kühe von Höfen, die aber einen Makel haben: In den Betrieben gab es einen TBC-Verdachtsfall, die Höfe wurden für mehrere Wochen gesperrt und dürfen trotz des nachweislich gesunden Restbestandes keine Milch in Umlauf bringen. Selbst wenn die Milch pasteurisiert wird und danach belegbar unbedenklich ist, will kein potenzieller Abnehmer das Produkt.
Eine halbe Million von den insgesamt 700.000 Liter waren für die Vernichtung bestimmt. Sie wurden von der ARA (Altstoff Recycling Austria) abgeholt und fachgerecht entsorgt. Das entspricht einem Geldwert von knapp 200.000 Euro. “200.000 Liter konnten einer Verwendung, hauptsächlich der Fütterung von Kälbern, zugeführt werden”, berichtet Stefan Simma, Direktor der LK Vorarlberg.
Der Schaden wird den Landwirten durch eine vom Land finanzierte Versicherung zu großen Teilen ersetzt.
Kritischer Kontrolleur
“Die geltenden Vorschriften der Rindertuberkulosenverordnung stellen für wegen Seuchenverdachts vorläufig gesperrte Betriebe in der Praxis eine schwer nachvollziehbare Einschränkung des Verkehrs mit Lebensmitteln dar. Die Vernichtung von Milch von unter besonderer Kontrolle stehenden und untersucht TBC-freien Tieren ist aus Sicht der Lebenmittelsicherheit nicht notwendig, da diese Milch ja zustätzlich einer verpflichtenden Pasteurisierung unterliegt”, hält Bernhard Zainer (59), Leiter der amtlichen Lebensmittelkontrolle, nüchtern fest. Zainer geht in seinem offensichtlichen Unverständnis über die Massenvernichtung des Rohstoffes sogar noch weiter: “Diese Milch wäre eigentlich die am besten untersuchte und so gesehen sicherste.”
“Die Vernichtung der Milch von TBC-freien Tieren ist nicht notwendig.”
Bernhard Zainer, Leiter Lebensmittelkontrolle Land
Plädoyer für Qualität
Für die Vorarlbergmilch, den größten Milchverarbeiter im Land, stellt sich die Situation freilich anders dar. “Wir halten uns an besondere Qualitätskriterien. Das AMA-Gütesiegel etwa garantiert dem Konsumenten, dass die Milch von einem Betrieb mit dem Status TBC-frei kommt”, entgegnet Vorarlberg Milch-Obmann Reinhard Summer. Geschäftsführer Raimund Wachter verweist auf die rechtliche Verpflichtung zur Abnahme von TBC-freien Betrieben. “Wir sind in einem sensiblen Markt tätig und halten uns an die mit unseren Partnern vereinbarte Milchlieferordnung. Wir produzieren Milch erster Klasse und nicht zweiter oder dritter Klasse. Wir sind unseren Kunden die beste Qualität schuldig”, wird Wachter deutlich.
Sensibles Thema
Pasteurisiert werden bei Vorarlbergmilch alle Lieferungen des natürlichen Rohstoffes. “Es geht uns dabei um eine technische Sicherheit”, erläutert Wachter. Die riesigen Mengen vernichteter Milch beschäftigen auch das Land. “Es ist das für alle Beteiligten am Markt eine sehr sensible Angelegenheit”, betont Landesrat Christian Gantner (39). Wie man das Fortschütten von Hunderttausenden Liter einwandfreier Milch künftig verhindern kann, weiß freilich auch er nicht. Nur soviel: “Wir sind am Verhandeln und suchen nach Lösungen.”
Daniel Allgäuer (55), Landwirtschaftssprecher der FPÖ und nach einem TBC-Fall an seinem Hof selbst Betroffener, will “eine unaufgeregte und sachliche Diskussion” zum Thema. Dass er mit der jetzt geübten Praxis keine Freude hat, liegt auf der Hand.