Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Bussi Bussi

Vorarlberg / 27.06.2020 • 06:30 Uhr

Man sitzt am Sonntag am See. Traumwetter. Aperol-Gefühl. Die vor Corona übliche Wurligkeit ist zurück. Schön.

Wie wir alle, wissen auch die Freunde am Nachbartisch nicht so recht, wie eine Covid-konforme Begrüßung nun ablaufen könnte, man hat sich zu lange nicht gesehen. Freude, Glückshormone. Ach komm her, Bussi-Bussi.

Der Handschlag ist ohnedies längst im Geschäftsleben zurück. Was mancher im regulären Homeoffice – oder im Pensions- sowie Kurzarbeits-Homeoffice nicht täglich sieht: Die, die unbeirrt draußen unterwegs sein müssen, die lassen sich von so einem Virus nicht unterkriegen. Zu viele Menschen, die einem beim ersten, vorsichtigen Wiedersehen freudig-begeistert die Hand entgegenstrecken. Wie unhöflich auch, den Gruß nicht zu erwidern. Und wie sinnlos, es zu tun.

Politiker sind üblicherweise professionelle Händeschüttler. Integrations- und Frauenministerin Susanne Raab wich bei ihrem Besuch in der VN-Redaktion auf die Namasté-Geste aus, um später zu schildern, dass sich in Diplomatenkreisen, bestätige Außenminister Schallenberg, international der Ellbogengruß durchgesetzt habe. Logisch, die derzeit immer wieder anzutreffende Rapperfaust wirkt in elitären Zirkeln oder beim Regionalbank-Aufsichtsratstreffen halt doch deplatziert.

Die aufgehobene Maskenpflicht in den Geschäften ist ein starkes Signal: Hilflos-verwaist wartet der vor Wochen noch so gefragte Masken-Wühltisch samt mit Schnur gesicherten Desinfektionsmittelflaschen neben dem Supermarkteingang. Die Kundschaft zieht mehrheitlich vorbei. Mit dem Fall der Maskenpflicht ist verführerische Normalität eingekehrt. Der permanente Aerosol-Luftschutz-Alarm ist ja nicht mehr hörbar, die Vorschriften sind längst zu Empfehlungen geworden – und auf den Hausverstand der Menschen konnte man sich vor Corona leider auch schon nicht verlassen. Die Maske ist tief in die Handtasche gerutscht. Das gegenseitige Schutzkonzept längst dahin.

Wenn die Dinge im Sinne aller also vermeintlich normal laufen sollen, braucht es ein unsichtbares Sicherheitsnetz.

Seit Freitag ist nun die aktualisierte Corona-App des Roten Kreuzes zurück, die endlich auch automatisch zufällige Begegnungen protokolliert – und zwar so, dass Datenschützer grünes Licht signalisierten. Es war eine schwere Geburt zwischen Politik, Technik und Kommunikation: Erst meinte Kanzler Kurz, man könne, ja müsse eine solche App verordnen. Als das insgesamt und auch mit dem Koalitionspartner nicht durchsetzbar erschien, sank das Interesse im Kanzleramt, die Rot-Kreuz-App wurde rasch den Grünen umgehängt. Der Gesundheitsminister soll die App richten. Es war fortan also vor allem nicht mehr die App des Sebastian Kurz.

Und zunächst bekleckerten sich der Rot-Kreuz-Bundesrettungskommandant und all die anderen, die mit der schnell zusammengebauten App die ersten sein wollten, tatsächlich nicht mit Ruhm. Acht Prozent der Bevölkerung installierten das bisher praktisch nicht-funktionale Ding seitdem. Vertrauen wurde jedenfalls nicht aufgebaut, das Gegenteil ist der Fall. Seit gestern scheint die App nun das zu tun, was sie seit 10. April an hätte können sollen: verlässlich Begegnungen mit Infektionsrisiko zu protokollieren.

Es waren die Schweizer, die das ermöglichten: Die Eidgenössisch Technischen Hochschulen Lausanne und Zürich hatten maßgeblichen Einfluss auf den weltweiten Covid-Tracing-Standard, der heute von Google und Apple weltweit in jedes Handy eingepflanzt wurde.

Die Deutschen haben die Irrungen und Wirrungen zu Beginn ausgelassen und vergangene Woche eine ziemlich perfekte Corona-Warn-App veröffentlicht, somit eine Woche schneller als Österreich. Und heute haben 15 Prozent der Deutschen sie schon auf dem Handy. Daran müssen wir uns messen.

Deshalb müssen wir uns nochmal zum kollektiven Download, zum Update aufraffen. Die Rot-Kreuz-App „Stopp Corona“ hat eine zweite Chance verdient.

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.