Bunker im Herbst
In den letzten Tagen habe ich immer wieder Bunker besucht. In der Schweiz, in Südtirol… Passt das nicht zu unserer Zeit? Herbststimmung überall. Statt auf die Wintersaison warten wir darauf, wie hoch die zweite Welle wird. Alle bunkern sich ein.
In St. Margrethen versteckt sich die ehemalige Festung Heldsberg hinter ein paar Attrappen von Einfamilienhäusern am Berghang. Statt kleinbürgerlicher Idylle warten dort Kanonen und Maschinengewehre hinter den falschen Gardinen. Und kilometerlange Gänge zwischen Mannschaftsräumen, Feldspital, Kantine und Turbinen für die autonome Stromversorgung. Für zwei Wochen Belagerung sollte das reichen, erklärt uns der Museumsführer.
„Eine seltsame Beklemmung bleibt dennoch nicht aus, wenn der eigene Lebensort im Zielfernrohr erscheint.“
Hier in Südtirol liegen die Bunker auf den grünen Wiesen herum, als hätte sie jemand vergessen abzuholen. Auch hier haben sie sich dem Idyll ein wenig angepasst, sind überwuchert, zugewachsen, der Beton blättert ab, bekommt Risse. Als man in Berlin noch inbrünstig „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“ sang, bereitete sich Mussolini darauf vor, dass die Deutschen ernst machen könnten. Und errichtete seine Wacht am Brenner auch im Vinschgau, unterhalb des Reschenpasses. Heute rauscht die Etsch an den Überbleibseln dieses nie geführten Krieges zwischen Nazis und Faschisten vorbei, als ob nichts gewesen wäre. Auch vorbei an den Wiesen an der Calven, wo 1499 ein Graubündner Heer die österreichischen Armeen in die Flucht jagte und die lokale Bevölkerung massakrierte, um den verhassten Habsburgern ein für allemal Grenzen zu setzen.
Überall wächst hier Gras, fällt buntes Herbstlaub über den Schlachtfeldern, den blutig ausgefochtenen Metzeleien, genauso wie den faschistischen Muskelspielen. Auch die Kanonen hinter den falschen Gardinen in Heldsberg sind nur noch zum Vergnügen der Besucher da, die mit ihnen Zielübungen veranstalten dürfen. Auf Bregenz, Lustenau und Hohenems. Eine seltsame Beklemmung bleibt dennoch nicht aus, wenn der eigene Lebensort im Zielfernrohr erscheint. Von dort erwarteten sich die Schweizer ab 1938 einen möglichen Angriff der Nazis.
Trotz aller nationalistischer Zündelei, trotz aller lähmenden Eigenbrötelei im Umgang mit der Pandemie, trotz aller Überbietung in der neuen Disziplin politischer Kälte, wenn es um Solidarität mit Schutzsuchenden geht: Beim Spazierengehen an der Etsch, zwischen Bunkern und frühneuzeitlichen Schlachtfeldern mag man einfach optimistisch bleiben. Wenigstens für heute.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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