Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Land sticht Bund

Vorarlberg / 08.01.2021 • 19:45 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Vertrauen braucht es vor allem in Zeiten der Unsicherheit. Denn wenn etwas eh sicher ist, dann braucht’s ja auch kein Vertrauen. Vertrauen muss man sich hart erarbeiten. Und da hilft’s, wenn in der Vergangenheit schon öfters etwas gestimmt hat, Versprechungen gehalten haben. Wir vertrauen dann darauf, dass das in Zukunft wieder so sein wird.
Bundeskanzler Sebastian Kurz hat vor Weihnachten angekündigt, dass wir uns ab 18. Jänner aus dem Lockdown “freitesten” können, dass es Massentests geben wird. Daraus ist nichts geworden, hauptsächlich weil es der Bundesregierung nicht gelungen ist, eine gangbare gesetzliche Grundlage zu finden und die Opposition entsprechend einzubinden.
Der Lockdown dauert nun bis 24. Jänner. Wie kann man das heute überhaupt sagen? Denn die Ankündigung von Schlussdaten von Lockdowns ist fahrlässig – niemand kann heute sagen, wie die Infektionszahlen am 24. Jänner aussehen, ob die Zahlen weiter sinken.
Es ist klar, dass eine unübersichtliche Pandemiesituation laufende Planänderungen nötig macht. Doch sind einige selbstgemachte Rohrkrepierer dabei, die vermeidbar gewesen wären. Das Freitesten gehört dazu, genauso wie die Corona-Ampel des Gesundheitsministeriums (und ihre völlig unabhängige Schwester, die Corona-Schul-Ampel des Unterrichtsministeriums).
Noch unübersichtlicher ist das Gerangel um die eiskalten Ampullen, den Corona-Impfstoff. Angefangen haben die “Pläne” aus dem Gesundheitsministerium ja noch vor Weihnachten damit, dass Impfkoordinator Clemens Martin Auer tatsächlich ein einziges Vakzin-Fläschchen mit dem Bundesheerhubschrauber für einen Fototermin nach Vorarlberg fliegen lassen wollte.
Vorarlberg konnte nach hörbarer Beschwerde dann doch hunderte Dosen verimpfen, um zwei Wochen später erneut zu erfahren, dass in Wien zehntausende Dosen Impfstoff gelagert werden, die aber schlichtweg nicht ausgeliefert wurden.

Nun mussten die Länder eingreifen, damit nicht jedes einzelne Altenheim sein Impfstoffpaket über eine Bundesbeschaffungsplattform im Gesundheitsministerium zentral anfordern muss. Landeshauptmann Markus Wallner war bei „Vorarlberg Live” (17 Uhr, VN.at, VOL.AT) ungewöhnlich emotional, wörtlich: die Zentral-Bürokratie im Ministerium gehe im auf die Nerven. Dann Planänderung im Bund. Seit Freitagnachmittag erhalten die Länder den Impfstoff vom Bund. Und können die Verimpfung dann selbst organisieren. Durchaus föderalistisch, doch dafür mussten die Länder kämpfen: die Ursprungsidee war an Zentralismus nicht zu überbieten.
“Vorarlberg sicherte sich bis gestern zehn Mal mehr Impfstoff als Oberösterreich”, hieß es nun gestern in den Oberösterreichischen Nachrichten – und in der Steiermark wurden gar erst 40 Impfungen durchgeführt.
Vorarlberg hat aufgrund seiner Kleinheit (und Mentalität!) die riesengroße Chance, allen Heimbewohnern in den kommenden beiden Wochen eine Impfung anzubieten – und könnte das erste Bundesland sein, in dem auch 80-Jährige, die zuhause leben, sich impfen lassen können. Die Möglichkeit, auf regionale Unterschiede eingehen zu können, macht auch in der Krise den Unterschied.

228 Menschen sind in Vorarlberg in Verbindung mit Corona gestorben. Viel zu viele. Die Impfung ist eine riesengroße Chance, diese verdammte Pandemie einzudämmen, unser Leben zurück zu bekommen – und Lebensretter zu werden. 

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.

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