Tiroler Sinneswandel?
Der Sinneswandel kam überraschend. Noch am Wochenende hörte man aus Innsbruck Kraftausdrücke und Drohungen gegen Wien. Genauer, gegen das (grüne) Gesundheitsministerium. „Dann werdet ihr uns kennenlernen“ richtete Walser den bösen Wienern aus – und in der ZIB 2 am Montag uns allen seine Interpretation von Ischgl.
Bald ein Jahr ist es her, dass der kleine Ort im Paznaun zum Superspreader des neuen Virus wurde. Wie es dazu kam, ist inzwischen einigermaßen geklärt. Aber das sei, so Walser, doch gar nicht die entscheidende Frage. Man wisse ja noch gar nicht, woher das Virus nach Ischgl eingeschleppt worden sei. Das klang irgendwie beunruhigend vertraut. So als haben Politiker und Wirtschaftsfunktionäre aus dem Desaster auch ein Jahr später noch nichts anderes gelernt, als dass immer irgendjemand anderes Schuld sein muss.
„Bald ein Jahr ist es her, dass der kleine Ort im Paznaun zum Superspreader des neuen Virus wurde.“
Dass dem Tiroler Gastgewerbe und erst recht der Seilbahnwirtschaft im Zeichen der Pandemie eine existenzielle Krise droht, ist klar. In dieser Situation den Golfurlaub in Südafrika anzutreten, dagegen nicht gerade vertrauensbildend. Nachrichten über illegale Beherbergungen und Partys, Skilehrerkurse mit Clustern von Mutationen und trickreiche Anmeldungen von Zweitwohnsitzen ebenso wenig. Dann geht der mächtige Obmann des Wirtschaftsbunds, ÖVP-Nationalrat und Oberhaupt der Adler-Runde Franz Hörl selbst – von der britischen Mutation infiziert – in Quarantäne, ohne eine Ahnung zu haben, wo er sich das geholt hat. Da soll man sich keine Gedanken darüber machen, ob nicht doch in Tirol noch immer gefährlicher Leichtsinn am Werk ist? Vor allem Selbstmitleid. Man solle endlich aufhören, mit dem Finger auf Tirol zu zeigen.
Wie heißt es auf Franz Hörls Website? „Tirol geht vor.“ Klassischer Populismus hört sich so an. Man geht eben selber immer vor. Aber heute klingt das irgendwie missverständlich. Weiter ist da zu lesen: „Wenn Franz Hörl auf den Plan tritt, ist Tempo angesagt. Beizeiten scheint er sich zu verdoppeln, tritt parallel in Erscheinung“ und „Hörl redet Tirol“.
Ein Macher spricht da, der den Spagat zwischen „Gastgeber“ und Seilbahnindustriellen, zwischen Mensch und Funktionär verkörpern will und das solange kann, wie der Erfolg ihn trägt. Und der eins nicht kann, was im Moment gebraucht wird. Sich selbst und sein Tun auch einmal infrage zu stellen.
Irgendjemand ist jetzt endlich auf die Notbremse getreten. Doch da hat es womöglich schon ein wenig am Tempo gefehlt. Hoffen wir mal, dass die Folgen weniger fatal sind als vor einem Jahr.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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