Reinhold Bilgeri

Kommentar

Reinhold Bilgeri

Rettungsanker

Vorarlberg / 12.08.2021 • 06:21 Uhr

Frau Ammanns Lieblingsgetränk ist Wasser, Leitungswasser, das so köstlich aus Vorarlbergs Hähnen fließt. Warum soll ich Wasserflaschen durch die Gegend schleppen, sagt sie, wenn‘s so paradiesisch einfach geht sich satt zu trinken. Sie ist in vielerlei Hinsicht tatsächlich ein Nachhaltigkeitsfreak, der mich immer wieder beschämt, weil ich weiß, dass sie ihr Ding wirklich durchzieht.

„Ob wir regional produzierte Kleidung kaufen oder Plunder, der von gestressten Sklavinnen in Bangladesch im Akkord genäht wurde, schlägt hoch an in der Skala.“

Schon vor Jahrzehnten hat sie mich auf die düsteren Prognosen des Club of Rome hingewiesen und sich schon sehr früh in die Phalanx derer eingereiht, die beschwörend mahnten, dass WIR ALLE durch unsere Lebensweise das Weltklima beeinflussen und zwar nachhaltig negativ. Anstieg der Meere und Schmelzen der Gletscher sind bereits „unumkehrbar“!

Mitschuldige

Die Katastrophen der letzten Wochen, Tornados, Starkregen, Dürren, Brände und Überschwemmungen, haben die Krise tiefer in unser Bewusstsein gerückt. Aber jedem, der meint, er allein könne eh nichts machen, hält Frau Ammann entgegen, dass unser persönlicher Fußabdruck sehr wohl zählt. China, die USA und Indien verantworten zwar die Hälfte der weltweiten Emissionen, aber in der anderen Hälfte der Schädlinge stehen WIR als Mitschuldige. Ob wir regional produzierte Kleidung kaufen oder Plunder, der von gestressten Sklavinnen in Bangladesch im Akkord genäht wurde, schlägt hoch an in der Skala. Wieviel und vor allem was wir essen, ob umweltfreundlich hergestellte Produkte oder Junkfood, wie wir uns mobil machen, wo wir urlauben, all das kann uns zu „Sündern“ machen. Unser Planet braucht uns nicht, er dreht sich auch ohne uns durchs All, aber die Wunden, die wir ihm schlagen, wird er nie verzeihen und unsere Enkel schon gar nicht.

Verzicht

Nein wir müssen keineswegs „zurück in die Steinzeit“ – übrigens ein irritierender Satz, zumal er impliziert, dass VERZICHT und Einschränkung nicht notwendig sein werden, sondern nur der feste Glaube an kreative Technologien der Zukunft – nein, keine Steinzeit, aber kürzertreten lernen (kann doch jeder), einen kollektiven Konsens über die Fakten finden, die Prognosen und Auswegszenarios der Wissenschaft ernst nehmen und Wirtschaft und Politik aktivistisch piesacken, bis endlich an den großen Schrauben gedreht wird.

Wir sind schon eine seltsame Spezies, sagt Frau Ammann, eigentlich wissen wir ja Bescheid über den Ist-Zustand, aber wir wollen nicht mehr glauben, was wir wissen, weil es so unangenehm aufstößt, stattdessen entwerten wir den Überbringer der schlechten Nachricht – die Wissenschaft. Dabei sind die Forschungen dieser Frauen und Männer unser wichtigster Rettungsanker, sagt sie, ob wirs glauben oder nicht.

Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.