40.000 Euro für ein Buch, das nie erschien

Vorarlberg / 02.09.2021 • 05:30 Uhr
40.000 Euro für ein Buch, das nie erschien
Kulturamtsleiterin Judith Reichart soll, so die Vorwürfe, Gelder des Kulturvereins Magazin 4 aufs eigene Konto erhalten haben. VN/Paulitsch

Bregenzer Kulturamtsleiterin Judith Reichart (51) mit Vorwürfen konfrontiert.

Von Jan-Philipp Möller

Bregenz Mit reichlich Vorschusslor­beeren, aber ohne öffentliche Ausschrei­bung und Vorstellungsge­spräch startete Kulturamtslei­terin Judith Reichart im Dezember 2020 in ihr Amt. Die Corona-Ausnahmeregelungen ermöglichten Bürgermeister Michael Ritsch (53) diese Personalentscheidung.

Geld aufs Privatkonto

Mit einer Vielzahl von Projekten und Ausstellungen gelang es Reichart in den vergangenen Monaten zweifelsohne, die Kunst am Unterhaltungsbedürfnis einiger Kulturinteressierter auszurichten. Parallel dazu tauchten nach VN-Recherchen Zweifel auf, was ihren Umgang mit öffentlichen Geldern betrifft. Als Bürgermeister Ritsch stolz die neue Kulturamtsleiterin der Öffentlichkeit präsentierte, betonte er ihre internationalen Referenzen als Kuratorin in New York, Chicago, Oslo und Berlin. Ihre ehrenamtli­che Tätigkeit als Präsidentin des Vereins Magazin4 Bregenzer Kunstvereins ist verbrieft, weni­ger bekannt ist allerdings eine Vielzahl von Zahlungen, die sich die 51-Jährige vom Vereinskonto aufs Pri­vatkonto überweisen ließ.

Auftrag für Jubiläumsbuch

Knapp drei Jahre lang soll sich Reichart von Oktober 2017 bis Mai 2020 vom ­Verein, dessen Mitglieder ehrenamtlich arbeiten, monatlich 600 Euro Honorar zukommen haben lassen – netto, zunächst per Einzelüberweisung, dann als Dauerauftrag.

Den VN liegen eine eidesstattliche Erklärung von Wolfgang Fetz und ein umfangreicher E-Mailverkehr in der Causa vor.
Den VN liegen eine eidesstattliche Erklärung von Wolfgang Fetz und ein umfangreicher E-Mailverkehr in der Causa vor.

Der damit verbundene Auftrag an sie als Kunsthistorikerin lautet gemäß Beschluss der Generalversammlung vom 26. Juli 2017: Recherchen und Konzeption für ein Buch über den Bregenzer Kunst­verein mit dem Titel „25 Jahre Magazin4“ zu erstellen.

Bis heute ist das Buch nicht erschie­nen. Immer wieder ange­mahnte Belege über ihren Ar­beitsfortschritt soll Reichart ihren Auftraggebern und Vereinsmitgliedern schuldig geblieben sein. Es heißt, die heutige Kulturamtsleiterin habe ihre Auftraggeber über mehrere Monate immer wieder vertröstet. In einer den VN vorliegenden E-Mail schreibt Reichart an Wolfgang Fetz (63), den damaligen Geschäftsführer des Vereins: “Hier ist nichts kriminell gelaufen, dass du das annimmst, verstört mich sehr.”

Das Land Vorarlberg und die Stadt Bregenz subventionierten den Bregenzer Kunstverein mit ca. 350.000 Euro jährlich.

“Let’s rock baby”

Am 4. Oktober 2017 for­dert Reichart in einer Nachricht an Fetz, die den VN ebenfalls vorliegt, 1000 Euro monat­lich, weil sie noch 400 Euro monatlich an Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeitrag abführen müsse. „… weniger geht nicht, eher mehr“, schreibt sie – und endet mit „Let’s rock baby!“
Am 13. Februar 2018 erinnert Reichart die Buchhaltung an das fällige Honorar und fordert kurz und knapp: „600 Piepen“.

Sich selbst soll sie dagegen sogar noch mit Aufschlägen versorgt haben:
In einer eidesstattlichen Erklärung versichert Wolfgang Fetz dieser Tage, dass bei einer internen Prüfung ein zusätzlicher Geldfluss von mehreren Monatstranchen zu je 350 Euro festgestellt wurde.

Weil diese Abbuchungen eigenmächtig ohne sein Wissen und Genehmigung als Verantwortlicher überwiesen worden sein sollen, legte er seine Ämter als Geschäftsführer nieder.

In einem Brief monierte Fetz deswegen bei Reichart, dass sie sich bei einem üppigen Honorar von 40.000 Euro Gesamthonoraren fürs Buch auch noch den Krankenkassenbetrag überwiesen habe: „… gelinde gesagt, übertrieben“, urteilt er. Hier sei “nichts kriminell gelaufen” entgegnete Judith Reichart, die versprach, schriftlich für Aufklärung zu sorgen, doch entgegen dieser Ankündigung ließ sie die Fragen des Geschäftsführers nach dem Verbleib des Geldes damals wie heute unbeantwortet.

Untreue steht im Raum

„Es gilt diese Vorgänge dienstrechtlich zu prüfen, es könnte auch der Tatbestand der Untreue im Raum stehen. Prinzipiell hat die Staatsanwaltschaft die Verpflichtung, auch nach Medienberichten von Amtswegen tätig zu werden und Ermittlungen zum Sachverhalt aufzunehmen“, so Rechtsexperte Prof. Peter Bußjäger (58) im Gespräch mit den VN.

Verfassungsjurist Prof. Peter Bußjäger sagt, es gelte, die Vorgänge dienstrechtlich zu prüfen. "Es könnte auch der Tatbestand der Untreue im Raum stehen." <span class="copyright">VN/Rauch</span><p class="caption">
Verfassungsjurist Prof. Peter Bußjäger sagt, es gelte, die Vorgänge dienstrechtlich zu prüfen. "Es könnte auch der Tatbestand der Untreue im Raum stehen." VN/Rauch

Zu sämtlichen Vorwürfen wollte sich die Kulturamtslei­terin nicht äußern. Über den Stadtamtsdirektor ließ sie erklären, der Verein sei eine separate Entität, die mit der Stadt in keinem Zusammenhang steht.

Der städtische Verwaltungschef Florian Bachmayr-Heyda forderte, dass dieser Artikel vor Erscheinen durch die Stadt „freigegeben“ werden solle und Judith Reichart beauftragte eine Rechtsanwältin. Auf Detail­fragen kündigte diese an: „Lediglich der Form halber weise ich darauf hin, dass meine Mandantin jegliche Berichterstattung über ihre Person genau beob­achten und gegebenenfalls die notwendigen Schritte ein­leiten wird.“

Für Judith Reichart gilt die Unschuldsvermutung.