Claudia Arthur-Flatz hat 9/11 mitten in New York erlebt: „Lange roch die Luft verbrannt“

Vorarlberg / 11.09.2021 • 09:00 Uhr
Vor 20 Jahren wohnte Claudia Arthur-Flatz in New York. Sie war im UN-Hauptquartier tätig, mit Blick auf das World Trade Center.
Vor 20 Jahren wohnte Claudia Arthur-Flatz in New York. Sie war im UN-Hauptquartier tätig, mit Blick auf das World Trade Center.

Claudia Arthur-Flatz hat 9/11 mitten in New York erlebt.

WIEN „Bis heute bestimmen die Anschläge und die darauffolgenden Handlungen der USA und Großbritanniens unser Leben.“ Davon ist Claudia Arthur-Flatz überzeugt. Sie bezeichnet den 11. September 2001 als Zäsur, als einen Tag, der die Zeit unwiederbringlich in ein vorher und in ein nachher geteilt hat. Die unmittelbaren Konsequenzen beeinflussen die Gegenwart und die Zukunft unvermindert und nachhaltig, glaubt die langjährige leitende Mitarbeiterin der Vereinten Nationen. Das zeigten die Ereignisse in Afghanistan. „Es ist, als hätten die letzten 20 Jahre nichts verändert.“

Claudia Arthur-Flatz hat 9/11 aus nächster Nähe erlebt. Die gebürtige Vorarlbergerin arbeitet heute für die Internationale Korruptionsakademie IACA in Wien, eine UN-Organisation. Vor 20 Jahren wohnte sie noch in New York. Die damals 31-Jährige war im Hauptquartier der Vereinten Nationen in der Abteilung für Abrüstungsfragen tätig – mit Blick auf das World Trade Center. Im VN-Gespräch schildert sie ihre Erlebnisse detailliert; so als wären es noch nicht zwei Jahrzehnte, sondern erst gestern gewesen, als von Al-Qaida-Terroristen entführte Flugzeuge in die Zwillingstürme in New York und das Pentagon in Washington steuerten und knapp 3000 Menschen mit in den Tod rissen. Der 11. September 2001 begann für Arthur-Flatz zunächst so wie jeder andere Tag im Büro im 31. Stock des UN-Gebäudes an der United Nations Plaza. Das Erste, was der Lochauerin beim Blick aus dem Fenster auffiel, war Rauch über der Skyline. „Ich rief nach einer Kollegin. Zuerst dachten wir noch an einen Filmstunt, es war einfach so unglaublich.“ In den Gängen riefen die Menschen plötzlich laut durcheinander, um 9.50 Uhr wurde das Gebäude evakuiert. Arthur-Flatz spricht von einer quälend langen Zeit, die es gedauert habe, zu Fuß ins Erdgeschoss zu kommen. „Niemand wusste, was genau passiert, ob vielleicht noch weitere entführte Flugzeuge in der Luft sind. Es war eine ganz bedrohliche Stimmung.“ Unten angekommen, beschloss die Vorarlbergerin mit einer finnischen Kollegin, im Central Park abzuwarten. „Ich werde nie vergessen, wie über unseren Köpfen Kampfjets vorbeigezogen sind.“

Irgendwann schaffte es Arthur-Flatz zu Fuß nach Hause, wo sie fassungslos den Fernseher aufdrehte.An Arbeit war in Manhattan nicht mehr zu denken. Der Stadtteil wurde von der Außenwelt abgeschottet, befand sich in einer Art Lockdown. „Noch eine lange Zeit roch die Luft verbrannt, eine Staubschicht lag über allem“, erzählt die UN-Mitarbeiterin. Es sollte noch knapp ein Jahr dauern, bis Arthur-Flatz nach Europa zurückkehrte. „Das Leben in New York war plötzlich ein anderes als vorher“, begründet sie ihre Entscheidung. Freies Sprechen und Denken sei in der „War on Terror“-Ära unter George W. Bush immer schwieriger geworden. Mehrmals habe sie sich die Frage gestellt: „Handelt es sich um einen ‚Krieg gegen den Terror‘ oder ‚Terror gegen den Krieg?‘“

Präsente Erinnerung

Die damalige Augenzeugin fühlt sich heute noch unwohl, wenn sie hohe Gebäude betreten muss. „Höre ich irgendwo eine Sirene, bin ich die Erste, die bei der Tür steht. Denn die Erinnerung an die Situation von damals ist sofort wieder präsent.“

9/11 und seine kriegerischen Konsequenzen haben sich auch auf das berufliche Leben von Arthur-Flatz ausgewirkt. So war es die UN-Abteilung für Abrüstungsfragen – wo sie arbeitete – die später untersucht hatte, ob der Irak unter Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte. Diesen Vorwurf hatten die Regierungen der USA und Großbritanniens im Zuge der Anschläge erhoben, und damit den Einmarsch 2003 gerechtfertigt. Die Vereinten Nationen konnten diese Behauptung widerlegen. Alle Mitarbeiter dieser Abteilung erhielten als Dank eine Abschrift des Friedensnobelpreises, der Generalsekretär Kofi Annan und den UN 2001 zu gleichen Teilen verliehen worden war. In Arthur-Flatz‘ Zuhause hat sie einen Ehrenplatz. VN-RAM