Was das Volk (nicht) hören will

Zum Advent: Unbequeme Wahrheiten? Geht gar nicht! Jeremia sprach sie trotzdem aus.
Schwarzach „Die Propheten“ – das unterstreicht Äbtissin Hildegard Brem – „sind einiges nicht.“ Sie sind der Äbtissin des Klosters Gwiggen zufolge keine Wahrsager, die sich am Markt bezahlen lassen. Weder Handleser noch Sterngucker. Die Propheten stehen auch nicht im Sold der Regierung. Schon gar nicht treten sie als Priesterkönig auf. Die Bibel kennt zwar auch solche Figuren wie den mythischen König Melchisedek. Aber die Propheten sind ganz anders.
Pflicht und Nachteile
Sie haben auch einen anderen „Job“. Den haben sie sich nicht ausgesucht. Manche wehren sich richtig dagegen. Denn ihre Aufgabe macht viele von ihnen zu Ausgestoßenen. Sie werden nicht reich, sondern vegetieren am Rande der Gesellschaft und können doch nicht schweigen. Streitbare Gesellen sind das, oft wütende Gestalten, die sich dem König und den Mehrheitsfraktionen widersetzen.
Was ist die Grundlage? Die Bibel erzählt, dass Gott mit dem Volk Israel einen Bund geschlossen hat. Aber die Menschen brechen das Bündnis, wieder und wieder. Die Propheten beruft Gott den biblischen Texten zufolge als sein Sprachrohr. Sie wurden in Hebräisch als nabī bezeichnet. Man könnte es übersetzen mit einem der ruft und der berufen ist. Von Gott berufen. Auch gegen den eigenen Willen.
Mit 19 in den Dienst
Jeremia gibt für all das ein gutes Beispiel. „Er wird sehr früh berufen“, sagt die Äbtissin. 645 vor Christus geboren, tritt er schon mit 19 Jahren seinen schwierigen Weg an. Seine Berufungserzählung fasst seine Lebensaufgabe in einen Satz: „Dann streckte der Herr seine Hand aus, berührte meinen Mund und sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund.“ Von diesem Tag an predigt und droht Jeremia im Namen Jahwes, sagt den Untergang des maroden Königreichs voraus und warnt die unfähigen Herrscher, die sich auf dem Thron Davids ablösen. Aber er mahnt vergebens. Die Menschen hören nicht zu. Die Geschichte mündet in der Katastrophe von 586, als der babylonische König Nebukadnezar Jerusalem erobert und den Tempel zerstört.
Jeremia wurde immer wieder verfolgt und eingesperrt. Seine Worte waren unbequem. Das wollte niemand hören. Das 28. Kapitel seiner Geschichte erzählt von seiner Konkurrenz. Ein Mann namens Hananja tritt auf. Er verspricht dem Volk von Jerusalem die baldige Befreiung. „So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Ich zerbreche das Joch des Königs von Babel.“ In zwei Jahren sei alles vorüber. Alle Verschleppten würden zurückkehren. Alles Geraubte müssten die Babylonier wieder herausrücken. Doch Jeremia meldet Zweifel an: „Mag der Herr so tun“, sagt er ganz spitz. Aber die schönste Prophezeiung müsste sich halt auch bewahrheiten: „An der Erfüllung des prophetischen Wortes erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ Hananja indes prophezeit munter glänzende Tage. Das untermalt er ausdrucksstark. Er nimmt Jeremia das Joch aus Holz ab, das der wie eine Art Performance durch die Straßen trägt, und zerbricht es. So würde auch das Joch der Unterdrückung durch die Babylonier binnen zwei Jahren zerbrechen. Doch Jeremia hält dagegen: Jochstangen aus Eisen stünden dem Volk bevor. Er warnt vor Hananjas leichtfüßigen Versprechungen, und er wird Recht behalten. Jerusalem fällt. Die Menschen werden verschleppt. Der Tempel geht in Flammen auf.

„Jeremia muss ein sehr feinfühliger Mensch gewesen sein“, erzählt Hildegard Brem. So, wie er Jahre lang damit hadert, ausgestoßen zu sein, findet er jetzt, in der allergrößten Krise tröstende Worte. In einem Brief rät er den Verbannten, sich auf lange Jahre im Exil vorzubereiten und die Zeit zu nutzen. Sie sollen nicht verzweifeln, sondern Kinder zeugen und sich mehren. Und sogar für das Wohl der Stadt beten, in die sie entführt wurden, „denn in ihrem Wohl liegt Euer Wohl.“ Er predigt die vernünftige Kooperation.
Für Hildegard Brem steht die Geschichte Jeremias sinnbildhaft für unsere Tage: „Die falschen Propheten verkünden, was das Volk hören will, die echten haben’s schwer.“
Wie tönen echte Propheten?
Viele Zumutungen hat uns die Pandemie beschert: Tod, Krankheit, wirtschaftliche Bedrängnis, soziale Verarmung und eine Menge falscher Propheten. Die einen verkündeten fröhlich das Ende der Massenerkrankung, andere rieten wie Scharlatane zu Medikamenten aus der Tierheilkunde. Wie aber tönen richtige Propheten? Die Bibel sollte das eigentlich wissen. Also picken wir zusammen mit Hildegard Brem, Äbtissin des Zisterzienserklosters Mariastern-Gwiggen, im Advent fünf dieser widerborstigen Gestalten heraus und lernen ganz Aktuelles aus den uralten Büchern.