Regierung legt Impfpflicht auf Eis

Vorarlberg / 09.03.2022 • 12:29 Uhr
Regierung legt Impfpflicht auf Eis
Gesundheitsminister Johannes Rauch und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler verkündeten am Mittwoch ein – vorläufiges – Aus der Impfpflicht. APA/Robert Jäger

Bundesregierung hält Maßnahme derzeit nicht für gerechtfertigt. Das Land sieht das anders.

Wien, Schwarzach Eigentlich hätte bei Verstößen ab Mitte März gestraft werden sollen. Nun wird die Impfpflicht von der Bundesregierung ausgesetzt. Als Grundlage für die Entscheidung wird der Bericht einer Expertenkommission angeführt. Im Land ist die Skepsis groß. Gesundheitsexperte Armin Fidler verweist auf die niedrige Impfquote. Virologe Norbert Nowotny hielte ein „Scharfstellen“ der Pflicht zumindest dann geboten, sollte sich eine gefährlichere Virusvariante als Omikron ankündigen. Das Aussetzen der Impfpflicht kam just an jenem Tag, an dem ein neuer Infektionsrekord verzeichnet wurde. Seit Dienstag kamen 47.795 Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 hinzu, so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie vor mehr als zwei Jahren.

Omikron als Grund

Die Impfpflichtkommission hält gleich zu Beginn ihrer Empfehlung fest: „Nach den bisherigen Erfahrungen mit SARS-CoV-2 ist es als sehr wahrscheinlich anzusehen, dass im Herbst 2022 eine neue, möglicherweise massive Infektionswelle droht.“ In drei Monaten soll daher erneut untersucht werden, ob es die Impfpflicht braucht, erläuterte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Mittwoch. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zufolge wäre eine Pflicht zumindest bei der vorherrschenden Omikron-Variante nicht verhältnismäßig. In der Impfkommission arbeiten die Mediziner Eva Schernhammer und Herwig Kollaritsch sowie der Staats- und Medizinrechtler Karl Stöger und die Rechtswissenschafterin Christiane Wendehorst.

Die Expertinnen und Experten halten in ihrem Bericht fest, dass eine abnehmende Immunität in der Bevölkerung im Herbst jedoch schwere Folgen haben könnte. Denn selbst wenn die Schwere der Verläufe ähnlich jeder der Omikron-Variante wären, könnte „das Virus auf eine Bevölkerung treffen, deren Immunität massiv abgenommen hat und damit zu merklich höherer Krankheitslast führen als die Omikron-Varianten im Winter 2021.“ Die Folgen wären eine Überlastung des Gesundheitssystems oder erneute „harte“ Maßnahmen wie Lockdowns. Sollte es die Situation notwendig machen, die Impfpflicht doch wieder in Kraft zu setzen, werde man schnell reagieren können, versicherten indes Gesundheitsminister Rauch und Verfassungsministerin Edststadler.

Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) sieht in der Entscheidung ein falsches Signal. „Denn damit wird der Bevölkerung vermittelt, dass die Impfung per se nicht hilft. Tatsächlich ist und bleibt aber die Impfung der Weg, um dieses Virus wirksam zu bekämpfen und letztlich die Pandemie zu überwinden.“ Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen seien auch nur möglich, da bereits ein hoher Impfschutz in der Bevölkerung bestehe. Dieser müsse aufrechterhalten und gestärkt werden. Strafen könnten aus Sicht Rüschers zwar noch verschoben werden. Ein gänzliches Aussetzen hält sie aber für falsch.

Der Covid-Berater der Landesregierung, der Gesundheitsexperte Armin Fidler spricht von einer schwierigen Entscheidung. Immerhin müssten neben der gesundheitlichen Sicht auch rechtliche und politische Gesichtspunkte beachtet werden. „Was die Public Health-Komponente angeht, ist aber klar: Es braucht die Impfpflicht.“ Die Impfquote sei viel zu niedrig. Nur an die 50 Prozent hätten sich bereits drei Mal immunisieren lassen. „Will man tatsächlich die Schwächeren der Gesellschaft und das Gesundheitssystem schützen, muss dieser Wert steigen.“

Lauterbach warnt vor Sommerwelle

In Deutschland warnte Gesundheitsminister Karl Lauterbach angesichts von Rekordinzidenzen vor kurzem sogar schon vor einer Sommerwelle. Der Virologe Norbert Nowotny teilt Lauterbachs Einschätzung nicht. Zwar sei die Durchimpfungsrate verbesserungsfähig. Doch die Omikron-Variante sorge derzeit für viele Infektionen, dazu komme mit der wärmeren Jahreszeit der saisonale Effekt. „Meiner persönlichen Meinung nach müssen wir wegen Impfung und Durchseuchung mit keiner großen Sommerwelle rechnen. Möglicherweise wird es so wie im letzten Sommer, vielleicht sogar noch ruhiger. Hundertprozentig sagen kann das derzeit aber natürlich niemand.“ Anders sehe es im Herbst und Winter aus, gibt der Experte zu bedenken. „Das Virus kam, um zu bleiben. Es wird ein saisonales Virus werden.“ Mit Omikron bestehe die Hoffnung, dass es diesen Sprung bereits geschafft habe. „Zu Herbstbeginn wird man sich durch die Impfung schützen müssen. Das wird ähnlich wie beim Influenzavirus sein.“ Nowotny zufolge macht das Impfpflichtgesetz somit weiterhin Sinn. Es sollte scharf gestellt werden, wenn im Herbst und Winter doch wieder eine gefährlichere Variante als Omikron auftauche. „Dann haben wir ein Gesetz, das jederzeit implementiert werden kann. Es wäre Zeit gewonnen.“

Volle Immunisierung braucht bestimmte Zeit

Den neuen Gesundheitsminister sieht Nowotny gefordert, die Menschen trotz Aussetzen fast aller Maßnahmen die Bevölkerung zu überzeugen, dass Corona noch nicht vorüber ist. „Es besteht ein gewisses Restrisiko, dass eine gefährlichere Variante auftaucht.“ Jene, die nicht geimpft sind, sollten das im Laufe des Sommers unbedingt nachholen. „Es geht eine bestimmte Zeit, bis die volle Immunisierung erreicht ist.“ Auf die Vorlaufzeit verweist auch Gesundheitsexperte Fidler. Ihm zufolge müssten Ungeimpfte mit der Impfserie im Mai, spätestens im Juni beginnen. Mit Blick auf den Herbst äußert er sich pessimistisch. „Ich fürchte, dass es so läuft wie in den ersten beiden Pandemiejahren. Wenn die Welle abgeflaut ist, wird alles vergessen, kaum jemand geht im Sommer impfen. Im Herbst folgt dann das große Erwachen.“

Zahnlose Impfpflicht

Die Impfpflicht, die formal eigentlich seit Anfang Februar galt, hat jedenfalls noch nicht viel bewirkt. Das zeigt das Impfregister. Seit Inkrafttreten am 4. Februar haben sich lediglich 26.018 bis dato ungeimpfte Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Der Anteil der geimpften Erwachsenen in Österreich tritt mit knapp unter 77 Prozent auf der Stelle. Auch der Impfstoff Novavax, der ein Angebot für bislang Ungeimpfte war, wurde seit seiner Einführung Anfang März von nur 1911 Menschen für ihre Erstimpfung genutzt. Weitere 100 holten sich damit ihre Zweitimpfung. Auch Vorarlberg tritt bei den Impfungen auf der Stelle. Das zeigen die Zahlen der vergangenen Woche. Insgesamt wurden gerade einmal 574 Coronaschutzimpfungen verabreicht, davon waren 94 Erst-, 109 Zweit- und 371 Drittimpfungen. Die meisten Dosen, nämlich 441, wurden in den Impfstraßen verwendet.

Magdalena Raos, Julia Schilly, Marlies Mohr