Wenn Zähne einfach brechen. Wie Kinder darunter leiden

So wie der achtjährige Pyry Haavisto gibt es immer mehr Kinder mit unheilbar brüchigen Zähnen.
Hohenems Pyry ist tapfer. In der Hohenemser Kinderzahnarztpraxis von Dr. Veronika Vilimek weiß er ja mittlerweile schon, was auf ihn zukommt. Es ist für ihn wieder Zeit für die Anbringung einer Schutzschicht auf seine porösen Zähne. Wenn notwendig gibt’s auch Füllungen. Pyry leidet an MIH, Kürzel für den Fachbegriff Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. “Allgemein verständlich ausgedrückt, spricht man von Kreidezähnen”, erklärt Dr. Vilimek.
Das bedeutet: Den Kindern brechen sowohl ihre Milch- als auch ihren bleibenden Zähnen immer wieder. Es entstehen Löcher, die permanent behandelt werden müssen. Diesen Defekt gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen.
Substanzdefekt
Bei Pyry ist zwar der Substanzdefekt bei den Zähnen nicht so massiv, dafür hat er oft Schmerzen. “Wenn ich ein Eis esse oder nach dem Zähneputzen spüle, tut es mir schon sehr weh”, erzählt der Bub. Je mehr von der Schutzschicht wieder weg ist, desto stärker werden die Schmerzen. “Wir wussten ja lange nicht, was Pyry hatte. Bei einem anderen Zahnarzt wurden wir sogar einmal rausgeschmissen, weil er vor Schmerzen so geschrien hat. Bei Dr. Vilimek sind wir jetzt seit dreieinhalb Jahren, und wir wissen, was los ist”, sagt Pyrys Mutter Kirsi Haavisto. Die Ungewissheit plagte Pyrys Eltern lange. “Pyry hat gesund gegessen und seine Zähne regelmäßig geputzt. Für uns war das alles unerklärlich”, beschreibt Stiefvater Karsten Moses das Leiden der Eltern.

Nicht zu beheben
Veronika Vilimek kennt solcherart Leidensgeschichten. “MIH hat verschiedenste Gesichter. Bei einigen gibt’s nur eine Verfärbung der Zähne, mit oder ohne Schmerzen. Andere haben einen starken Substanzdefekt ohne Schmerzen. Dann gibt es solche mit weniger starkem Substanzdefekt, dafür starken Schmerzen, oder die schlimmste Variante: starker Substanzdefekt, starke Schmerzen.” Allen Varianten gemein ist: Der Defekt lässt sich nicht beheben. Erst wenn die jungen Patienten ausgewachsen sind, gibt es so etwas wie eine finale Therapie: stabile Kronen auf alle angegriffenen Zähne.
“Erst wenn die Kinder ausgewachsen sind, können Kronen auf die beschädigten Zähne angebracht werden.“
Dr. Veronika Vilimek, Kinderzahnärztin
Wenig erforscht
Über das immer häufiger entdeckte Phänomen – in Deutschland leiden 28,7 Prozent aller Kinder an dieser Zahnkrankheit – ist noch wenig bekannt. Eine Forschergruppe der Universität Würzburg hat einige mögliche Ursachen für MIH ausgemacht. Diese reichen von Sauerstoffmangel bei der Geburt über Folgen einer Frühgeburt, die Folge eines Kaiserschnitts bis hin zu Auswirkungen von Atemwegsekrankungen, antibiotischer oder antiasmathischer Medikation im Alter von null bis vier Jahren. Auch die Folgen des Kontakts mit Mikroplastik in Trinkwasser wurde bereits als mögliche Ursache genannt. Bekannt ist: Die Krankheit entwickelt sich im Zeitraum vom letzten Schwangerschaftsviertel bis zum dritten Lebensjahr.

Für die Kinder bedeutet MIH Leid in verschiedensten Formen. Da sind nicht nur die permanenten Schmerzen und die Dauerpräsenz in Zahnarztpraxen, viele von ihnen werden auch wegen der Verfärbung ihrer Zähne in den Schulen gehänselt.
Pyry, der Tapfere, der einmal Schriftsteller werden möchte, hat seinem Schicksal erfolgreich den Kampf angesagt.