Den Vorarlberger Schmetterlingen geht es schlecht

Die neu erschienene Rote Liste verheißt nichts Gutes. Experten nehmen auch Gartenbesitzer in die Pflicht.
Dornbirn Das Resümee von Peter Huemer fällt ernüchternd aus. „Ich bin erschrocken, als ich die finalen Auswertungen gemacht haben. Wir sehen in jeder Gefährdungskategorie deutliche Steigerung von zehn bis 20 Prozent innerhalb von 20 Jahren“, fasst der Schmetterlingsexperte die Ergebnisse der neu erschienenen Rote Liste der Schmetterlinge Vorarlbergs zusammen.

In Vorarlberg ist die Erstellung der Roten Listen, anders als in den anderen österreichischen Bundesländern, im Naturschutzgesetz verankert. Dafür zuständig ist die inatura. Anette Herburger, Teamleiterin des Bereichs Forschung, erläutert: „Rote Listen sind Alarmsysteme im Naturschutz. Rote Listen sind wichtig, um zu sehen, ob sich eine Art in ihrem Bestand verändert hat. Ganz wichtig ist auch, dass die Roten Listen die Gefährdungsursachen darstellen und Anregung geben, diese Arten zu erhalten.“



170.000 Einzelbeobachtungen
Die erste und bislang letzte Rote Liste der Schmetterlinge wurde im Jahr 2001 veröffentlicht. Für die Neuauflage waren Experten und Hobbyforscher vier Jahre lang im Feld unterwegs. Am Ende lagen knapp 170.000 Einzelbeobachtungen vor. „Es war ein Riesenprojekt, das vier Jahre Vorarbeit erfordert hat, obwohl es schon eine Vorgängerliste gegeben hat. Das liegt daran, dass Schmetterlinge eine sehr umfassende Artengruppe sind“, berichtet Huemer, unter dessen Leitung die Rote Liste entstanden ist.

In Vorarlberg gibt es 2501 Schmetterlingsarten. Rund die Hälfte davon ist laut dem Leiter der naturwissenschaftlichen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen gefährdet. Die Skala reicht von „Stark gefährdet“ bis „Gefährdung droht“. „Die Gefährdung ist eigentlich ein Blick in die Zukunft. In der Kategorie vom ,Aussterben bedroht‘ sind Arten, die mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit in den nächsten zehn Jahren aussterben werden“, ergänzt Huemer.
100 Jahre, 100 Mal seltener
Zum Vergleich: Im Jahr 2001 waren 880 Schmetterlingsarten als gefährdet eingestuft, inzwischen sind es 1131 Arten. Die Zahl der vom Aussterben bedrohten Arten ist von 78 auf 113 gestiegen. Als stark gefährdet gelten mittlerweile 255 Arten, vor 20 Jahren waren es noch 212. „Das war für mich als Wissenschaftler erschreckend“, bekräftigt Huemer. Es gehe aber nicht nur um die gefährdeten Arten. Als Beispiel nennt er den Zitronenfalter, der vor 100 Jahren rund hundert Mal häufiger war als heute und trotzdem nicht gefährdet ist. „Die Arten, die in der Roten Liste als nicht gefährdet gelten, sind ganz besonders wichtig“, betont er.

Biodiversitätsforscher Johannes Rüdisser vom Institut für Ökologie in Innsbruck und Leiter des Vorarlberger Tagfaltermonitorings bekräftigt: Im Naturschutz gehe es längst nicht mehr nur darum, einzelne Arten vor dem Aussterben zu retten. Wegen einer Art käme das ökologische System nicht ins Wanken. „Aber wenn die häufigen Arten massiv zurückgehen, und diese Tendenz stellen wir fest, dann bekommen wir tatsächlich große ökologische Probleme, und das wirkt sich auf unsere Gesundheit aus“, hält der Experte fest. „Insekten haben eine ganz elementare Funktion im Ökosystem. Sie sind Nahrung für Vögel, für Fledermäuse, für Reptilien. Sie sind ganz wichtig für die Bodenfruchtbarkeit. Sie bauen organische Masse ab. Kuhfladen etwa würden nicht abgebaut werden, wenn da nicht Insektenlarven drinnen liegen und das fressen würden.“
Interessenskonflikte
Was die Politik mit diesen Erkenntnissen macht? „Nun liegt der schwierigste Part, diese wissenschaftliche Evidenz in konkrete politische Handlungen überzuleiten, vor uns. Da gibt es natürlich Interessenskonflikte“, bemerkt Landesrat Daniel Zadra und verweist dabei auf Themen wie Lichtverschmutzung, Bodenversiegelung und Landwirtschaft. „Wir leben von der Landwirtschaft, aber mit jedem Schritt in eine Intensivierung haben wir auch Kollateralschäden in der Flora und Fauna. Darum ist es so wichtig, dass wir mit der Landwirtschaft gemeinsam Flächen definieren, die für die Insekten zur Verfügung stehen“, erläutert er.
Schmetterlingsexperte Peter Huemer nimmt aber auch Gartenbesitzer mit englischem Rasen, Rasenroboter und perfekt geschnittener Hecke in die Pflicht. „Das ist eigentlich das Hauptproblem. Wir sind in Vorarlberg einfach zu ordentlich“, unterstreicht er.