Warum der 2. Juni vor 55 Jahren ein Schicksalstag war

Vorarlberg / 01.06.2022 • 18:30 Uhr
Benno Ohnesorg wird vom Tatort weggetragen. Kurz darauf war er tot. Eine Radikalisierung der Gesellschaft folgte. <span class="copyright">AF</span>
Benno Ohnesorg wird vom Tatort weggetragen. Kurz darauf war er tot. Eine Radikalisierung der Gesellschaft folgte. AF

Der tödliche Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg in Berlin veränderte eine Gesellschaft – mit Folgen auch für Vorarlberg.

Berlin, Bregenz Benno Ohnesorg ist ein politisch zwar interessierter, aber alles andere als fanatischer Germanistik- und Romanistikstudent, als er sich am 2. Juni 1967 vor der Berliner Oper an einer Kundgebung gegen den auf Staatsbesuch weilenden persischen Schah Reza Pahlevi beteiligt. Nachdem die 2000 jungen Menschen zuerst friedlich demonstrieren, kippt die Stimmung plötzlich. Sogenannte Jubelperser, eine vom Schah angeheuerte Schlägertruppe, dreschen mit Unterstützung der Polizei auf die friedlichen Demonstranten ein. Es kommt zu tumultartigen Szenen. Polizisten verfolgen die Protestierer bis in die umliegenden Straßen.

Der damals 26-Jährige setzt einer Gruppe Polizisten nach, die auf Teilnehmer einprügeln, versucht zu schlichten. Es fällt ein Schuss. Ohnesorg wird aus kurzer Distanz in den Hinterkopf getroffen, sackt zusammen und stirbt wenig später. Der Todesschuss kommt aus der Waffe des Polizeiobermeisters Karl-Heinz Kurras. Später wird man feststellen, dass Kurras ein Stasi-Agent war. Für die tiefgreifenden Folgen dieses Ereignisses ist diese Erkenntnis nicht von Belang.

In ganz Deutschland gingen junge Menschen nach dem Todesschuss auf Benno Ohnesorg auf die Straßen. Der Todesschütze, der Polizist Karlheinz Kurras, wurde vor Gericht freigesprochen. <span class="copyright">AP</span>
In ganz Deutschland gingen junge Menschen nach dem Todesschuss auf Benno Ohnesorg auf die Straßen. Der Todesschütze, der Polizist Karlheinz Kurras, wurde vor Gericht freigesprochen. AP

Der Märtyrer

Ohnesorg wird zum Märtyrer, die Tat zum Symbol eines autoritären Staates mit verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen, der sich einer nach Befreiung aus überholten Konventionen strebenden jungen Generation entgegenstellt. Der Vietnamkrieg, die Unterdrückung des persischen Volkes und die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika befeuern den fundamentalen Generationenkonflikt zusätzlich. Aus Kritik erwächst Radikalität, ursprünglich unpolitische junge Menschen verwandeln sich in Zeitgenossen, die sich gegen das System erheben und von ihren Eltern vehement nach Antworten auf deren Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus verlangen.

Die Explosion

Benno Ohnesorgs Erschießung bringt zur Explosion, was lange Zeit schon brodelte. Es entstehen die “Bewegung 2. Juni” und die “Rote Armee Fraktion” (RAF), die das Land mit Gewalt und Tod überziehen. Brennende Kaufhäuser, Banküberfälle, Sprengstoffanschläge, Geiselnahmen, Entführungen, Morde. 33 an der Zahl hat allein die RAF in den Jahren ihres destruktiven Wirkens auf dem Gewissen.

Der deutsche Herbst 1977 mit den skrupellosen Liquidierungen des deutschen Generalbundesanwalts Siegfried Buback und des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer, die spektakulären Prozesse gegen RAF-Mitglieder in Stuttgart und die zeitgleichen Selbstmorde mehrerer Terroristen im Hochsicherheitsgefängnis von Stammheim sind unvergessene Ereignisse jener Zeit.

Reinhold Bilgeri erinnert sich an den 2. Juni vor 55 Jahren, als der friedliche Student Benno Ohnesorg durch einen Pistolenschuss getötet wurde. <span class="copyright">VN/Haller</span>
Reinhold Bilgeri erinnert sich an den 2. Juni vor 55 Jahren, als der friedliche Student Benno Ohnesorg durch einen Pistolenschuss getötet wurde. VN/Haller

Bilgeri und Köhlmeier erinnern sich

“Wir haben die Kunde von der Tötung Benno Ohnesorgs damals sehr wohl vernommen”, erinnert sich Reinhold Bilgeri, damals 17-jähriger Gymnasiast und gesellschaftlicher Rebell. “Wir waren auf der Seite jener, die gegen die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung auftreten. Wir hatten diesbezüglich auch bei uns genug zu tun, wenn ich etwa an den rechten Ideologen Elmar Grabherr denke. Die Gewalt haben wir jedoch niemals gerechtfertigt.”

Schriftsteller Michael Köhlmeier hat über Benno Ohnesorg sogar einmal einen Songtext verfasst. Auch er vergisst nicht, was am 2. Juni 1967 passiert ist. <span class="copyright">VN/Paulitsc</span>
Schriftsteller Michael Köhlmeier hat über Benno Ohnesorg sogar einmal einen Songtext verfasst. Auch er vergisst nicht, was am 2. Juni 1967 passiert ist. VN/Paulitsc

Auch Bilgeris späterer Blues-Bruder Michael Köhlmeier hat die Erschießung Ohnesorgs noch in Erinnerung. “Wir erfuhren jedoch erst später über die wahren Umstände des tödlichen Schusses und haben uns darüber sehr empört. Ursprünglich glaubten wir, er sei bei den Tumulten nicht gezielt abgegeben worden.” Im Weltbild Bilgeris und Köhlmeiers hatten der Protest gegen Vietnam, gegen den Schah und die Verherrlichung der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen freilich einen festen Platz. Über Benno Ohnesorg hat Köhlmeier sogar einmal einen Songtext verfasst. “Ich habe ihn leider nirgends gespeichert.”