Plötzlich im Blackout: Koblachs dunkelste Nacht

Was geschieht wirklich, wenn der Strom ausfällt? Eine Vorarlberger Gemeinde wagte die Probe aufs Exempel.
koblach Das Szenario sollte so realistisch wie möglich sein. Deshalb weihte Koblachs Bürgermeister Gerd Hölzl am vergangenen Mittwoch nur wenige Bürger der 5000-Seelen-Rheintalgemeinde über eine gewagte, erstmalige Simulation ein: dem Planspiel des Stromausfalls. Der Blackout, einer unerwarteten katastrophalen Situation, in der nichts mehr geht.
Andere Bürger informiert Hölzl erst eine halbe Stunde vor Beginn des gespielten Szenarios: „Stellt euch jetzt realistisch vor, es ist Stromausfall. Was tut ihr nun?“ Unter ihnen etwa Bernhard Metzler, Filialleiter des örtlichen Sparmarktes. Oder Andreas Staudach, Obmann des Koblacher Fischereiverbandes.
Ausgangspunkt Spanien
Der Ursprung des gespielten Übels: Am Vormittag tritt eine plötzliche Instabilität im spanischen Stromnetz auf. Nur wenige Stunden später erschüttert eine Explosion ein Kernkraftwerk in Frankreich. Das sensible Netz der Stromversorgung bricht zusammen. Auch im gesamten deutschsprachigen Raum.
„Rien ne va plus“ ebenso in ganz Vorarlberg.
Kurz nach Bekanntwerden des Desasters wird im Koblacher Feuerwehrhaus eine Gemeindeeinsatzleitung eingerichtet. Mit einzelnen Stäben, zuständig für Lagefeststellung, Einsätze, Versorgung und Information. Apropos Information: Wer hat eigentlich ein Kurbelradio zur Hand, das ohne Spannung von außen geladen werden kann?
Jetzt aber werden erst mal die Schulen und Kindergärten entvölkert, die Schützlinge nach Hause geschickt.

Die Nagelprobe
Die Auswirkungen lassen nicht lange auf sich warten. Die Telefone klingeln. Solange sie noch funktionieren. Denn frühestens nach einer halben Stunde sind die Akkus der Handys leer, wird in der Einsatzzentrale vermutet.
Polizei und Feuerwehr sind auf den Straßen. Eine erste Schlägerei wird gemeldet. Spar-Filialleiter Bernhard Metzler erscheint aufgewühlt im Einsatzzentrum. Kein Strom mehr in den Kühlräumen, klagt er.
„Alles verreckt!“
„Eine Nacht lang halten die Lebensmittel. Aber in der zweiten ist alles verreckt!“, befürchtet er. Er, Metzler, der den VKW monatlich 2000 Euro Strom bezahlt. Aber die VKW stellt kurzfristig kein Notstromaggregat zur Verfügung.
Überhaupt ist in der Gemeinde kein Notstromaggregat aufzutreiben, wie es scheint. Nur in der Einsatzzentrale funktioniert die Notstromversorgung. Der Bürgermeister macht dem Lebensmittelhändler einen Vorschlag: „Portioniere deine Waren und verteile sie gleich im Anschluss an die Bevölkerung. Aber suche dir dafür vertrauenswürdige Helfer, die die Sachen dann nicht verkaufen …“

Szenarien der Verzweiflung
„Woher nehmen und nicht stehlen?“ wird zu einer der Kernfragen. Etwa beim Diesel für Stromgeneratoren. Aber wo sind im Ort Dieselvorräte vorhanden? Es gibt keine Antwort. Der Landwirt Meusburger, einer der wichtigsten Nahversorger im Ort, meldet sich verzweifelt: „Ich kann meine achtzig Kühe nicht melken.“ Und weshalb? „Weil die Melkroboter im Stall ausgefallen sind. Und woher jetzt 80 Leute herzaubern, die das mit den Händen erledigen?“
Andreas Staudacher, Obmann des Koblacher Fischereiverbandes, erscheint in der Einsatzzentrale und schildert Bürgermeister Gerd Hölzl seine Not. In seinen Becken schwimmen zehn Tonnen Fische. Doch die elektrischen Pumpen liefern keinen Sauerstoff mehr. Schon am nächsten Tag werden neun Tonnen Fisch tot sein. „Wenn bei uns alles ausfällt, wird die Brut vernichtet.“ Es würde bis zu drei Jahren dauern, bis hier wieder der Normalzustand herrscht, schätzt er.
„Wenn bei den Müttern der Fernseher ausfällt, laufen sie zum Bürgermeister“, erwähnt Hölzl so nebenbei. Dass die ebenfalls strombetriebenen Kirchenglocken nicht läuten, hält der Bürgermeister zunächst für ein vernachlässigbares Problem. Doch da fällt ihm Feuerwehrkommandant Philipp Bolter ins Wort: „Gerade die Kirchenglocken haben jetzt eine wichtige Alarmierungsfunktion.“

Alles zu viel auf einmal
In einem Lift sind neun Personen eingeschlossen. Das fehlte noch. Wie der gerade geschehene Autounfall. Zudem wüten draußen Sturm und Starkregen. Sechs Personen aus dem „Haus der Generationen“ stehen vor der Tür und bitten um Einlass, um im Feuerwehrhaus übernachten zu können. Die Einsatzkräfte stehen an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Nicht zuletzt, weil da und dort auch Babynahrung zugestellt werden muss. Wenigstens klappt es mit der Wasserversorgung. Denn die Gemeinde verfügt über ein Trinkwasserreservoir mit eigener Abfüllablage.
Feuerwehrkommandant Bolter bilanziert nach dem Experiment: „Wichtig sind in einer solchen Situation vor allem die Funktionstüchtigkeit der kritischen Infrastruktur und Anlaufstellen mit medizinischem Personal für die Bevölkerung.“
„Tadellose Kooperation“
Und was sagt Einsatzleiter Bürgermeister Gerd Hölzl angesichts all der aufgetauchten Probleme? „Die Kooperation mit der freiwilligen Feuerwehr Koblach funktioniert tadellos. Die Professionalität und das Engagement aller Beteiligten waren beeindruckend. Wir werden das Üben von unterschiedlichen Szenarien wiederholen, in der Hoffnung, dies in der Realität nie anwenden zu müssen. Für den Ernstfall sind wir vorbereitet“, bilanziert er.