„Am Bahnhof wurden wir schon von der SS empfangen“

Vorarlberg / 28.04.2023 • 18:33 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Ein Foto von Willy Geber um 1920.  Familienarchiv Geber/Gabrielle Gottlieb, Pacific Palisades
Ein Foto von Willy Geber um 1920. Familienarchiv Geber/Gabrielle Gottlieb, Pacific Palisades

Eine der Fluchtgeschichten des Rad-Hörwegs „Über die Grenze“ ist die von Willy Geber.

Hohenems Zum Auftakt einer neuen gemeinsamen Serie werfen die VN-Heimat und das Jüdische Museum Hohenems einen Blick auf das Leben des Wiener Schlagerkomponisten Willy Geber, dem im August 1938 über Hohenems die Flucht in die Schweiz gelang. Es handelt sich dabei um eine von 52 Geschichten, die seit Juli 2022 im Projekt www.ueber-die-grenze.at online präsentiert werden.

„Wir glaubten uns verhaftet“

Am 17. August 1938 schickte der 35-jährige Willy Geber einen Brief an seine Frau Johanna in Wien: „Wir haben es geschafft! Hoffe euch alle gesund! Und alles in Ordnung. Nun mein Bericht.“ Die Kenntnis dieser Fluchtgeschichte ist einer umfangreichen Briefsammlung zu verdanken, die schon 2018 von Niko Hofinger in seinem Werk „Maneks Listen“ eingehend bearbeitet wurde. Willy Geber berichtet dabei ausführlich und mit einer gehörigen Portion Witz über die Reise nach Vorarlberg und den ersten Rückschlag in Feldkirch. So etwa, dass er feststellen musste, dass ein Grenzübertritt an dieser Stelle zwar ausgeschlossen war, womöglich aber in Hohenems etwas zu machen wäre, weshalb er die Zugfahrt dorthin fortsetzte. Die Ankunft beschrieb er wie folgt: „Am Bahnhof wurden wir schon von der ‚SS‘ empfangen mit den Worten: ‚Kommts mal mit uns‘. Wir glaubten uns verhaftet und in Dachau. Auf dem Weg zum ‚Gefängnis‘ ‚befreundete‘ ich mich mit einem SS der mir sagte: ‚Ihr kommt schon noch über die Grenze, wir werden schon machen.‘“

Gasthof Habsburg

Geber und seine Leidensgenossen wurden zunächst im Gasthof Habsburg, gemeinsam mit anderen dort bereits wartenden Jüdinnen und Juden, einer Leibesvisitation unterzogen. Gegen 8 Uhr abends wurden die insgesamt rund 70 Personen, „von SS Radlern und Infanteristen“ flankiert und „bewundert von der äußerst liebenswürdigen Gesamtbevölkerung von Hohen­ems“, durch den Ort geführt. Mit Einbruch der Dunkelheit begann der rund zweistündige Fußmarsch in Richtung der Schweizer Grenze, der schließlich „auf freiem Feld“, in Lustenau enden sollte. In Gruppen zu je zehn Personen galt es nun, „die ca. eine ¾ Stunde entfernte große Rheinbrücke“, die Wiesenrainbrücke über den neuen Rhein, zu finden. Die Überquerung gelang und Willy Geber erreichte in den späten Abendstunden des 17. August den schweizerischen Grenzort Widnau. Die kleine Gruppe legte das wenige Geld zusammen, dass sie behalten durften – zehn Reichsmark pro Kopf – um ein Taxi nach St. Gallen zu nehmen, denn es galt, sich so rasch wie möglich von der Grenze zu entfernen.

Emigration nach Amerika

Schon am nächsten Tag stand Geber vor dem St. Galler Polizeihauptmann Grüninger und erhielt die Erlaubnis zu bleiben. In St. Gallen gründete er eine Schlagerkapelle von Emigranten die sich Kunst-Kultur-Kreis-Ensemble, kurz KKK, nannte. Er komponierte Lieder zu Ehren von Paul Grüninger und bald darauf gelang ihm auch die Emigration in die USA, wo er sich mit seiner Familie wieder vereinigte.

Doch aus der Karriere als Schlagerkomponist in Amerika wurde nichts. Er schrieb zwar weiterhin unermüdlich Songs, aber keiner fand mehr den Weg auf eine Schallplatte. Geber starb 1969 in Los Angeles, verarmt und in einem Supermarkt beschäftigt. RAE

Wiesenrainbrücke Lustenau, vor 1938. Josef Nipp, Vorarlberger Landesbibliothek
Wiesenrainbrücke Lustenau, vor 1938. Josef Nipp, Vorarlberger Landesbibliothek

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