Süchtig nach Aufmerksamkeit
Die junge Frau hat nur Augen für sich. Sie posiert am Strand, ein wenig abseits vom Badevolk, und ihr Smartphone hält jede ihrer Koketterien fest. In der Badetasche warten Requisiten. Sogar ein Stativ hat sie mitgebracht, weil man nicht gleichzeitig lasziv am Strohhalm knabbern, sich die Haare aus dem Gesicht streichen und die Kamera bedienen kann. Später kauert sie unter einem Sonnenschirm und teilt mit der Fingerkuppe die Spreu vom Weizen. Nur perfekte Bilder postet sie gleich. Jede Reaktion zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen.
Sie wird bemerkt. Das ist das Ziel. Auch hier am Strand. Zwei Mädchen schielen kichernd hinüber. Die Burschen haben den Fußball liegen lassen und vollführen jetzt kunstvolle Sprünge in Sichtweite. Ein älterer Herr kommt mit seiner Zeitungsseite seit einer Viertelstunde nicht vom Fleck und starrt unverwandt auf die Buchstaben (und darüber hinweg). Genießt sie die Aufmerksamkeit? Es scheint ihr zweites Naturell zu sein. Werden die Sonnencreme und die Badekleidung, die sie da wohl zu Markte trägt, sie steinreich machen? Ist sie eine jener sagenumwobenen jungen Menschen, deren Einfluss so groß ist, dass gertenschlanke Mädchen sich zu dick und interessante Gesichter sich für hässlich halten?
Wenn die Trendforscher recht behalten, neigt sich die Ära der gekünstelten Perfektion ihrem Ende zu. Nehmen die Konzerne die Diskrepanz zwischen den Kunden und unerreichbaren Schönheitsidealen als geschäftsschädigend wahr? Es ist wie der Sieg des fleckigen Apfels über seine auf Hochglanz polierten Geschwister: Normale Menschen sollen künftig Waren verkörpern. Und so sieht das geistige Auge schon einen Strand voller beeindruckend normaler Körper, die nun in grotesken Verrenkungen via Smartphone die Welt der Influencerinnen im Sturm erobern, indes die Schöne ein wenig abseits die Welt nicht mehr versteht.
Kommentar